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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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Hoffentlich meldet sich Lilly noch. Sagen Sie ihr, sie soll mich anrufen, wenn sie wieder da ist?«
    Die Stimme von Alex’ Mutter klang aus dem Hintergrund, scharf wie Damaszener Stahl und hart wie ein Vorschlaghammer. »Setzt du dich jetzt bitte wieder an den Tisch? Wenn du lieber kalt essen willst, werde ich dir ab morgen liebend gerne Hundefutter aus der Dose servieren.«
    »Ja, natürlich«, murmelte Michelle beiläufig und legte auf. Vielleicht war Lilly wirklich bei diesem Jungen? Ein winziges Körnchen Hoffnung keimte in ihr auf. Doch der Verstand in ihr trampelte sie mühelos nieder.
    Du weißt genau, dass sie nicht bei diesem Jungen ist. Sie ist dir hinterhergerannt, und auf dem Weg ins Parkhaus hat
er
sie abgefangen. Und jetzt ist sie bei
ihm
.
    Michelle erinnerte sich an die erstickten Laute, die sie im Parkhaus gehört hatte, und erschauderte.
    Was nun? Sie musste der Polizei von dem Polaroid erzählen. Vielleicht verstärkten sie dann die Suche nach ihrer Tochter. Außerdem musste sie diesen Patrick sprechen.
    Sie stand auf und ging in Lillys Zimmer. Noch nie war ihr die Wohnung so still und verlassen vorgekommen wie jetzt. Das Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert war, brannte in ihrer Brust, machte jeden klaren Gedanken unmöglich.
    Süßlicher Parfumgeruch lag in der Luft und erinnerte daran, dass Lilly seit damals nicht älter geworden war. Im Innern war sie immer noch zwölf. Sie war ein Mädchen, das sich langsam zurück ins Leben kämpfte, seinen Platz eroberte.
    Das Zimmer wirkte erwachsen. Es gab keine Plüschtiere, und es standen keine Jugendbücher in den Regalen. Über dem Bett hing ein Veranstaltungsposter der Mayday, auf einem Sideboard lagen Schminkutensilien. Unangetastet. Auf ihrem Schreibtisch herrschte ein Chaos aus Schulbüchern, losen Zetteln und Notizblöcken, unter denen eine Tastatur hindurchschimmerte.
    Michelle schaltete den Computer ihrer Tochter ein und wühlte die Tastatur hervor. Vielleicht hatte sie ja Glück.
    Schon nach kurzer Zeit war klar, dass sie es nicht hatte. Lillys E-Mail-Verkehr beschränkte sich auf ein paar wenige Mails, in denen es um Hausaufgaben ging. Offenbar hatte sie wenig Kontakt zu anderen. Auch der Browserverlauf gab nichts her. Amazon, Zalando und eine Seite mit erotischen Geschichten.
    Michelle presste die Lippen zusammen. Ihre Kleine versuchte, erwachsen zu werden. Ansonsten hatte sie ihren Computer nicht benutzt. Soweit Michelle es sehen konnte, war sie in keinem Forum aktiv und tauschte sich auch sonst nicht über das Internet aus. Nirgends gab es einen Hinweis auf diesen Patrick.
    Michelle zuckte zusammen, als es an der Haustür klingelte. Ihr Herz galoppierte mit einem Schlag los, so dass das Blut schmerzhaft in ihren Schläfen pochte. Sie hob den Kopf und lauschte. Es rappelte an der Briefklappe.
    Lilly!
    Sie sprang auf, raste zur Tür und riss sie auf. Ein kühler Luftzug strich durch ihre Haare und wirbelte sie durcheinander. Es roch nach Regen und nach dem Müll des Nachbarn. Es war dunkel. Die Straßenlaternen warfen lange Schatten, und dicke Regentropfen klatschten auf den Asphalt.
    Natürlich war von Lilly nichts zu sehen.
    Wie auch? Du weißt doch, wo sie ist. Gesteh es dir endlich ein und tu was. Du schindest Zeit.
    Niemand war zu sehen oder zu hören. Es hatte nicht geklingelt. Alles nur Wunschdenken. Michelle schloss die Tür und versenkte das Gesicht in ihre Hände. Sie versuchte, den Impuls zu weinen hinunterzuschlucken, und verlor.
    Heiße Tränen liefen über die Handflächen durch ihre Finger. Sie zog ein Taschentuch aus der Hose und schnäuzte hinein. Dabei fiel ihr ein Zettel auf, der vor ihr auf dem Boden lag.
    Sie rieb sich über die Augen und hob ihn auf. Jemand war hier gewesen. Nur war es nicht Lilly.
Er
war es.
    Mit einem Schlag fühlte sie sich wie auf dem Präsentierteller. Alle Wände um sie herum schienen plötzlich Augen zu haben. Toms Augen. Starrende, dunkle Kugeln, die jede ihrer Bewegungen verfolgten. Sie hörte sein hämisches Lachen, das gurgelnde Geräusch, das er dabei machte, und eine Gänsehaut lief über ihren Rücken.
    Sie drehte sich um und schloss die Tür ab. Danach ließ sie die Jalousien herunter. Sie sperrte die Welt aus, so gut es ging. Doch das Gefühl, nicht allein zu sein, blieb.
    Sie hörte auf zu atmen und lauschte.
    Hatte er einen Weg ins Haus gefunden? Hatte er es jetzt auf sie abgesehen? Bis auf ihr pumpendes Herz war es still in der Wohnung. Aber was bedeutete das schon? Tom würde sich

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