Papa
Oberfläche. Sie kannte diesen Mann. »Tommi!«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Lillian. Meine Süße. Es freut mich, dass du wach bist. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.« Er ging zu ihr und streckte eine Hand aus. Unwillkürlich wich sie zurück und stieß an das Fenster hinter ihr. Er roch nach Erde und nach etwas Scharfem. Alkohol? Verdünner? Sie konnte es nicht einordnen, aber es machte ihr Angst.
Seine Hand wuschelte durch ihre Haare, die ohnehin schon zerzaust waren. »Meine kleine Lillian. Du hast lange geschlafen.«
Sie nickte. »Du hast die Tür verschlossen.« Das war keine Frage.
Tommi zog die Stirn kraus. »War sie das? Mag sein. Nun, du schläfst recht unruhig. Ich möchte nicht, dass deinem zerbrechlichen Körper etwas zustößt.« Er drückte sanft ihre Schulter und sah ihr sorgenvoll in die Augen.
»Solange du mir nichts tust, stößt mir schon nichts zu. Warum bin ich so schrecklich müde? Und wo ist Mama?« Unwillkürlich zog sie die Bluse weiter über die Jeans.
»Ich fürchte, du bist ein wenig krank und wirst das Zimmer eine Weile nicht verlassen können. Du kannst froh sein, dass ich mich nun um dich kümmere. Das wird schon wieder. Wenn du deine Tabletten nimmst, geht es dir bald besser, versprochen. Deine Mama kommt bald. Sie weiß, dass du hier bist. Du musst dich ein wenig gedulden.«
»Wo ist sie?«
»Auf dem Weg. Sie ist auf dem Weg. Hab Geduld. Warum legst du dir nicht etwas Lippenstift auf? Mach dich für Mama schick. Das wird sie freuen. Und du hast etwas zu tun, solange du wartest.«
Lillian schaute zur Kommode, wo ein paar Schminkutensilien lagen. Der Lippenstift lag offen neben ihrer Unterwäsche. Hatte er gerade schon dort gelegen?
»Du siehst ängstlich aus.« Tommi beugte sich zu ihr und streichelte zärtlich über ihre Wangen.
»Das hat dich nicht zu interessieren. Komm mir nicht zu nahe!« Die Müdigkeit lag wie ein Teppich auf ihr. Lillian konnte die Gefühle, die über sie hereinschwappten, nicht einordnen. Waren es überhaupt Gefühle? Oder waren es Erinnerungen?
»Das liegt an den Tabletten, die du nimmst. Wieder Kopfschmerzen? Ich kann dir andere besorgen. Bessere. Soll ich dir einen Tee machen? Der entspannt.
Weißt du was? Warum legst du dich nicht wieder ins Bett, und ich bring dir einen Tee mit Honig? Und wenn es dir danach bessergeht, mache ich dir Frühstück. Speck und Ei. Was hältst du davon? Du liebst doch Speck und Ei zum Frühstück.« Tommi strahlte sie an. »Ich will dir nichts Böses.«
Lillian schluckte. Selbst das fiel ihr schwer. Vielleicht war ein Tee jetzt wirklich das Richtige. Wahrscheinlich war sie tatsächlich schwerkrank. Nicht so, wie wenn man eine Grippe hätte. Es war eher wie Fieber ohne erhöhte Temperatur. Eine seltsame Krankheit. Deshalb nickte sie.
Er ging zur Tür, verharrte, drehte sich um und schaute sie an. Die Augen glasig und gehetzt. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen wie Kondenswasser auf einem kalten Glas Cola. Er fuhr sich durchs Haar, kippte den Kopf zur Seite und lächelte. »Lillian, mein Schatz, ich bin froh, dass du hier bist. Ich habe dich so schrecklich vermisst. Bald sind wir alle zusammen. Wart’s ab. Dann wirst du dich auch besser fühlen. Auf uns kommt eine wunderbare Zeit zu.«
Lillian ließ sich auf das Bett fallen. Sie spürte, wie sie das Bewusstsein verlor. Was hatte er gesagt? Die Worte verblassten, noch ehe sie in ihr Bewusstsein drangen.
»Ich zeige dir mein neuestes Projekt«, sein Gesicht verwandelte sich in eine grinsende Fratze. »Glaub mir, du wirst deine Freude daran haben. So wie ich.« Damit verließ er den Raum und schloss hinter sich ab.
Lillian starrte ihm eine ganze Weile hinterher. Etwas stimmte hier nicht, aber vielleicht würde es besser werden, wenn sie nicht mehr so müde war. Dann würde sie sich an alles erinnern, und alles wäre gut.
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Kapitel 12
M ichelle hörte nicht auf, zu zittern, als wäre etwas in ihr, das ausbrechen wollte. Seit Stunden hatte sie alle Möglichkeiten hin und her gewälzt.
Immer wieder kamen ihr die Entführungsfälle in den Sinn, bei denen die Polizei versagt hatte. Nein, sie musste diese Chinesin allein finden.
Zu häufig hatte sie in den Nachrichten etwas über das Versagen der Polizei gehört. Gerade bei Entführungen. Ohne Routine ging schnell etwas schief, und Kompetenzgerangel gab es genauso häufig wie in anderen Branchen.
Michelle wollte das Leben ihrer Tochter nicht in die Hände anderer geben.
Sie
musste es
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