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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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Erinnerte mich daran, wie ich damals bei Duncan Motors hinter dem Steuer des Plymouth gesessen hatte, während mein Vater mit Mr. Duncan den Kaufvertrag unterschrieb.
    »Am Daytona Beach«, sagte ich. »Ich habe ein Mädchen aus dem Wasser gezogen.«
    »Er ist ein Schwimmer«, sagte Charlotte, aber Hillary reagierte nicht darauf. Man konnte sehen, wie es ihn ärgerte, dass sie redete, ohne an der Reihe zu sein.
    »Mir scheint«, sagte er kurz darauf, »wer dumm genug ist, in ein unbekanntes Gewässer zu gehen, der verdient, was passiert.«
    Darauf erwartete er keine Antwort. Er wandte sich wieder an Charlotte, fast, als wäre sie damit gemeint. Sie lächelte ihn an, sah ihm direkt in die Augen. Ihr Blick verfing sich, änderte sich und wurde intensiver, bis es mir peinlich war, mit den beiden in einem Raum zu sein.
    Mein Bruder wollte etwas sagen, überlegte es sich dann aber anders. Hillary Van Wetters Miene war nicht anzumerken, ob er davon etwas mitbekam. Hillary tat immer eines nach dem anderen. Jetzt wies er mit einem Kopfnicken auf seinen Schoß, wo eine Erektion die Gefängnishose zeltartig aufspannte. Er schaute, und dann schaute auch Charlotte dorthin. Ward begann, seine Fingernägel zu mustern.
    »Es gibt da etwas, das Sie für mich tun könnten«, sagte Hillary.
    Sie nickte. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen«, sagte sie mit dünner Stimme und warf einen Blick zur Tür.
    Lange blieb es still im Zimmer. Schließlich rührte sich mein Bruder und sagte: »Wir müssen da über ein paar Dinge reden, Mr. Van Wetter. Über Ihren Fall.«
    »Halt’s Maul«, sagte Hillary leise. Er starrte Charlotte an, und sie starrte zurück. Seine Nasenflügel schienen sich zu weiten, als sein Atem stockte und sich der Rhythmus änderte. »Öffne den Mund«, sagte er, bat sie eher darum, als dass er es ihr befahl, und ihre Lippen öffneten sich leicht. Ihre Zunge glitt über die Unterlippe und blieb einen Moment im Mundwinkel liegen.
    Er nickte ihr zu, langsam anfangs, doch dann wurde die Kopfbewegung heftiger, als wäre er in Eile. Er schloss die Augen, ließ den Kopf auf die Rückenlehne sinken und schüttelte sich.
    Einen Augenblick saß er völlig regungslos, die Augen geschlossen, das Gesicht entspannt, rosig und feucht wie das Gesicht eines schlafenden Babys, und dann erschien ein dunkler Fleck auf seiner Hose und breitete sich über seinen Schoß aus.
    Ich fragte mich, ob es auch so sein würde, wenn er auf dem elektrischen Stuhl saß.
    CHARLOTTE BLESS weinte auf der Rückfahrt. Sie saß neben mir auf dem Beifahrersitz, lehnte den Kopf an den Rahmen des offenen Fensters und achtete nicht darauf, dass ihr der Wind durchs Haar fuhr. Es war kein hörbares Weinen, aber die Tränen tropften ihr von Nase und Kinn, und ihre Schultern zuckten.
    Es schien mir richtig, dass sie weinte, denn offenbar gab es Dinge, die zum Weinen waren, allerdings hätte ich nicht sagen können, welche.
    DREI TAGE LANG hatte man den Fall Hillary Van Wetter im Gericht von Moat County verhandelt, und in der Bürohälfte meines Bruders lag die Prozessmitschrift, neben der Wand aufgestapelt in Kartons, die mit roter Aufschrift die Kennzeichnung II -A, II -B, II -C, II -D und II -E trugen. Die Blätter in den Kartons waren mit einer Schreibmaschine beschrieben worden, die die Buchstaben
e, o, r, d
und
b
verschmierte. Die
s
hatte man offenbar stärker anschlagen müssen als die übrigen Buchstaben, sie hoben sich wie Dreckspritzer von den Seiten ab. Ganze Abschnitte waren mit Tipp-Ex übermalt und neu geschrieben worden, wobei man unmöglich sagen konnte, was verändert worden war.
    Trotzdem war genügend unverändert geblieben.
    In dieser Mitschrift steckte eine Story über die Rechtsprechung in den ländlichen Gegenden der Südstaaten.
    Und eine andere Story steckte in der Vermutung, dass Sheriff Call, der in aller Öffentlichkeit sechzehn Schwarze umgebracht hatte und nie zur Rechenschaft gezogen worden war, sein Ende durch die Hand eines Mannes fand, der selbst bislang straflos ausgegangen war.
    Die Heroen des gesellschaftlichen Wandels, die in der
Miami Times
, der größten Zeitung des Südens, den redaktionellen Kurs angaben, sahen die Schönheit, die Ironie des Ganzen, und es war diese Schönheit und keineswegs die Ungerechtigkeit – davon gab es auch in Miami genug –, die sie letztlich veranlasste, Geld und Zeit in Moat County zu investieren.
    Yardley Acheman verstand dies besser als mein Bruder, denke ich, schließlich war es sein Job,

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