Paperboy
kann?«
Yardley Acheman rührte sich nicht. Wieder erschien ein Lächeln auf Hillary Van Wetters Gesicht. Seine Zähne waren gelb, im Zimmer roch es nach Desinfektionsmitteln. Weit entfernt schrie ein Mann, und sein Schrei hallte mit hohlem Klang über die Flure. Licht schimmerte durch das kleine Fenster in der Tür, Staubpartikel hingen in der Luft.
Ich stand auf, musste mich bewegen und ging etwa in einem halben Meter Abstand an Hillarys Stuhl vorbei von einer Wand zur anderen. Hillary roch auch nach Desinfektionsmitteln. Die Tür ging auf, und der Wachposten steckte den Kopf herein.
»Keinen Kontakt mit dem Gefangenen«, sagte er. »Sie dürfen ihm nichts geben, keine Schriftstücke und auch sonst nichts.«
»Mr. Van Wetter wird einen Stift und ein Blatt Papier brauchen«, sagte mein Bruder.
»Dann müssen Sie sich an den Aufseher wenden«, sagte der Wachmann und schloss die Tür.
Als er fort war, sagte Hillary: »Eigentlich ist es mit Tyrees Lesekünsten sowieso nicht weit her.«
Mein Bruder schaute ihn an und verlor die Geduld. »Er wird Ihre Handschrift schon wiedererkennen.«
Darüber dachte Hillary nach. »Zahlen«, sagte er. »Er kann Zahlen lesen.«
»Gibt es etwas, das wir ihm sagen können?« fragte Ward. »Etwas, das ihm verrät, dass wir von Ihnen kommen?«
Hillary schüttelte den Kopf, als würde er nicht verstehen.
»Eine Geschichte, irgendetwas, das passiert ist, damit er weiß, dass er mit uns reden soll.«
»Eine Geschichte«, überlegte Hillary und strich sich übers Kinn. Die Kette zwischen seinen Handgelenken schlug klirrend an die Handschellen, dann war es wieder still. »Da gab es ein Mädchen«, sagte er, »mit dem ist etwas passiert.« Ward schwieg, aber offenbar war das alles, was Hillary sagen wollte.
»Was für ein Mädchen?« fragte mein Bruder.
»Lawrences Frau«, sagte er. »Sie kam von außerhalb, die hat er nicht vergessen.«
»Lawrence«, sagte mein Bruder, und Hillary nickte. »Was ist mit ihr passiert?«
Wieder schwieg er. »Sie ist weggegangen«, sagte er dann, starrte auf seine Füße und musterte die Ketten an seinen Knöcheln.
Ward schaute zur Tür. »Die können nicht hören, was Sie uns erzählen«, sagte er.
»Manchmal muss man gewisse Sachen nicht hören, um über sie Bescheid zu wissen.«
»Hier drinnen dürfen die Gefangenen doch mit ihren Anwälten reden.«
»Anwälte«, sagte Hillary, und vor meinen Augen verdüsterte sich seine Laune. Aber vielleicht kam sie jetzt auch nur deutlich zum Vorschein. »Wenn’s drauf ankommt, sind die auch nicht mehr wert als Zeitungsjungen. Wenn’s drauf ankommt, kann hier drinnen nur ein richtiger Mann was ausrichten, aber der kann tun, wozu er Lust und Laune hat. Den kann keiner aufhalten.«
Yardley Acheman saß in seiner Ecke, schloss die Augen und ließ den Kopf in die Hände sinken, als könne er es nicht mehr ertragen. Charlotte steckte sich eine neue Zigarette an, stützte die Arme auf ihre Knie und beugte sich zu Hillary hinüber. Er konnte in ihren Ausschnitt sehen.
»Betrachten Sie es doch mal von einer anderen Seite«, sagte Yardley Acheman. »Was haben Sie schon zu verlieren?«
Hillary wandte sich langsam zu der Ecke um, in der Yardley saß.
»Was können die schon machen? Sie zweimal auf den elektrischen Stuhl schicken?«
»Halt’s Maul«, sagte Charlotte, und darüber musste Yardley lächeln. Er schüttelte den Kopf, als wolle er sagen, dass er Frauen wohl nie verstehen würde, und schwieg.
»Es muss ja nichts mit Frauen zu tun haben«, sagte mein Bruder. »Nur irgendwas, was ich Ihrem Onkel erzählen kann, damit er weiß, dass wir Ihr Vertrauen besitzen.«
»Mein Vertrauen ...« Er spielte ein wenig mit dem Gedanken.
»Was ist mit ihr passiert?« fragte mein Bruder. »Mit Lawrences Frau?«
Charlotte ließ die Zigarette, die sie sich gerade erst angezündet hatte, auf den Boden fallen und trat sie mit der Schuhspitze aus. Sie wollte nicht wissen, was mit Lawrences Frau passiert war, sagte aber: »Erzähl die verdammte Geschichte endlich«, und einen Augenblick lang hätte man glauben können, sie und Hillary wären bereits verheiratet.
»Da gibt’s keine Geschichte nach dem Motto, der eine erzählt und der andere hört zu«, sagte Hillary. »Das Mädchen ist weg.«
»Wohin?«
»Sie kam von außerhalb, eines Tages war sie da, und dann war sie wieder weg.«
»Ist sie zu ihrer Familie zurückgegangen?« fragte mein Bruder, und Hillary begann wieder zu lächeln.
»Das glaube ich nicht, nein,
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