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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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durchlöcherter Brust auf seiner Couch saß, zusammengesackt im
Halbdunkel.
    »Die Euro hast du natürlich nur per Zufall dabei.«
    »Ich hab sogar einen Memostick, mit den Daten drauf. Auch nur
Zufall!« Er schwenkte das schwarze Stäbchen.
    »Komm schon, gib dir einen Ruck, ich weiß ja, dass du pleite
bist.«
    »Wie der Tschad. In Ordnung.«
    »Geh morgen zum Türkenshop und wenn das iPhone echt ist, kauf ich
dir das auch ab. Egal, was der Türke bietet, ich zahl dir einen Zehner mehr.«
Er drehte sich um. »Bedienung, noch ein Kozel und einen Mokka mit Wodka für
uns.«
    Mit der Zeit füllte sich die Bar, wir zahlten und gingen. Am
Stephansplatz verabschiedeten wir uns und ich fuhr allein heim. Mit 900 Euro in
der Geldtasche.
    Zu Hause setzte ich mir einen Sencha auf, holte die Sachen von
Slupetzky raus und kuschelte mich auf meiner Chaiselongue in die Decke. Zuerst
ging ich die Sachen durch, die ich von Slupetzky hatte, seine Post, die Dateien
von Reichi und was ich im Auto gefunden hatte. Es war aber nichts von Bedeutung
darunter.
    Danach holte ich eine alte Nummer des Gnomon raus, drehte mir
einen Joint und stellte mich vor meine Plattensammlung. Mir war irgendwie nach
Charlie Parker. Leider besaß ich von ihm keine Platten, so musste mein
CD-Player herhalten. Ich kramte die remasterte ›Charlie and Miles – Historical
Sessions‹ raus und legte sie in den Schacht. Dann drückte ich auf Play und
dimmte das Licht. Das Klavierintro von ›A Night in Tunesia‹ flutete durch den
Raum. Als der sanfte Bläsereinsatz kam, lag ich bereits unter der Decke. Der
Joint knisterte, und als ich inhalierte, setzte Charlie zu einer Interlude an.
Samtig-weich klagte sein Altosax in einer perfekten Phrase, und als das
Zwischenspiel vorüber war, wiederholte die gesamte Band das Thema. Der Wodka
und das Koffein rasten durch meine Adern, gejagt vom THC. Der Joint zwischen meinen
Fingern wurde bleischwer und mein Herz pumpte wie verrückt. Den durchgeknallten
Einstieg zu Charlies Solo mitsamt Drumbreak bekam ich noch vollständig mit,
dann driftete ich weg.
    Als ich wieder zu mir kam, lief die Platte dank der
Repeat-Funktion immer noch. In der Rechten hielt ich den inzwischen
ausgegangenen Joint. Charlie war gerade irgendwo im Mittelteil von ›Embraceable
You‹, lyrisch schwermütig spielte er sich den Blues vom Herzen.
    Unwillkürlich musste ich an Slupetzky denken. Ein Leben, verbracht
in verrauchten Hinterzimmern und kahlen Hotels, immer auf Achse, immer auf der
Jagd nach dem ultimativen Gewinn. Als er glaubte, endlich das große Los gezogen
zu haben, starb er. Alt und allein in einem Loch, irgendwo in Wien gestrandet.
Alle Hoffnung verloren.
    Ich rauchte den Joint fertig und dachte an die
Champagnerglasgöttin, bis mir die Lichter endgültig ausgingen. Charlie spielte
ungerührt weiter, bis in alle Ewigkeit.
     
     
     

Kapitel 3
     

I
    Am
nächsten Morgen stand ich gegen sieben auf. Charlie spielte immer noch, ich
ließ ihm seine Freude, während ich Teewasser aufsetzte, mich wusch und
rasierte. Nachdem ich das nicht mehr kochende Wasser über die nach Heu
duftenden Senchablätter gegossen und der Tee drei Minuten gezogen hatte, füllte
ich ihn in meine ramponierte Siggflasche, packte alles Übrige zusammen und ging
frühstücken. Es war ein völlig neuer Morgen, ich hatte Geld.
    Vorbei am Café Mostar und hinauf durch den Reithofferpark, wo
schon ein paar unverdrossene Migrantenkinder im Käfig dem Ball hinterherjagten,
zur Märzstraße. Oben angekommen ging ich schnurstracks ins Kent, suchte mir
einen Tisch und nach kurzem Warten kam ein Kellner. Im Kent, in dem in der
Märzstraße ebenso wie in dem am Brunnenmarkt, verlässt man Europa und ist in
Asien. Minuten werden zu Stunden, Stunden verrinnen in Sekundenschnelle.
    Ein Freund von mir, ein starker Raucher, musste einmal eine Stunde
auf ein Packerl Marlboro warten, der Ober eilte mit der rotweißen KKK-Schachtel
mindestens dreimal an unserem Tisch vorbei. Auf die immer drängender werdenden
Fragen antwortete er nur in typisch türkischem Tonfall »Kommt gleich« und ging
ungerührt weiter. Nichtsdestotrotz sind die Angestellten sehr freundlich und
das Essen ausgezeichnet.
    Ich bestellte mir ein türkisches Omelett, mit Weißkäse belegt, der
auf der heißen Unterlage seine bröckelige Konsistenz verliert und geschmeidig
wird. Das alles in Olivenöl gebadet, dazu einen Korb voll frischem, duftendem
und in Scheiben

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