Papilio Mariposa
Begehren
Ungeheures unternahm und Ungeheures erlitt; den
Sehnsüchtigen, der in Licht und Freude auferstehen
wollte und unterging in Nacht und Grauen.
Verwandlung und
Schicksal
Mutet diese Geschichte von Papilio Mariposa nicht
seltsam an, ja schon absonderlich? Der nahtlose Übergang
von einer realistischen Szenerie, jener Episode
aus dem ersten Weltkrieg, zu einer höchst phantastischen
Begebenheit, der Verwandlung des armen und
machtlosen und häßlichen Juden in einen starken und
schönen Schmetterling — wie ungewohnt liest sich dies
in unseren Tagen. Der Mut des Autors zum großen,
pathetischen Bild nötigt Bewunderung ab: geschieht
dies doch beinahe unvorbereitet, entspricht es gar
nicht dem, was Seriosität und Glaubwürdigkeit zu gebieten
scheinen. Als sei ihm jedes Maß der Schicklichkeit
egal, greift Oswald Levett zum Trivialen, zur
clownesken Verstellung, inszeniert ein Puppentheaterstück,
das in den einfachen, schlichten Sätzen eines
Märchens erzählt wird, wiegt den Leser lange in der
verharmlosenden Vermutung, hier ginge es nur um
seichtes Plaudern. Und wie jäh hält der wache Leser
dann inne, wenn da Stichworte aus der dunkelsten Periode
deutscher Geschichte für die Handlung wichtig
werden, wenn die Mißgestalt des Helden plötzlich dadurch
vom Bedauernswerten ins Tragische gerückt
wird, daß er ein mißgestalter Jude ist, wenn mehrfach
und unübersehbar vom Antisemitismus der Zeit (und
hier ist mit der Entstehungszeit des Romans, der 1935
erschien, zu rechnen) die Rede ist. — Wieder erstaunt
der Mut des Autors, der selbst seinen ansonsten recht
sympathischen, rechtschaffenen Ich-Erzähler davonnicht freispricht; daß diesen die eifersüchtige Leidenschaft
und der Affekt dazu anstacheln, dient doch lediglich
als Erklärung, beileibe nicht als Entschuldigung.
Levett nennt dies brennende Problem der Zeit beim
Namen, beweist, daß die Judenverfolgung nicht erst
mit der Pogromnacht in Deutschland und in dem nur
noch bis 1938 benachbarten, dann »heimgeholten«
Österreich ein Thema ist. Was aber macht er aus diesem
ihn bewegenden Stoff? Er wählt das literarische
Bild der Verwandlung des Juden, der Flucht aus der
Gesellschaft, deren tragische Konsequenz auf ganz unerwartete
Weise wieder realistisch ist. Der Jude will
kein Jude mehr sein, ist der Verachtung, des Spottes,
der Erniedrigung müde, und er schafft das schier Undenkbare
(dieser Science-fiction-Trick ist allemal originell,
kann aber natürlich keine Rettung bringen) aus
eigener Kraft, entflieht seiner alten menschlichen
Hülle, entflieht der Häßlichkeit und der Verfolgung. —
Nein, seine Rettung ist das nicht, er wird sogar noch
ärger gejagt, muß unterliegen. (Zuvor bereits wurde
deutlich, daß auch der Reichtum den Juden vor Erniedrigung
nicht bewahrt.)
Was eingangs so sanft, so harmlos begann, erlangt
nun Tiefe und Mehrschichtigkeit. Nicht das Jude-Sein
ist die Crux des Helden, das Mensch-Sein vielmehr ist
es: War er vor seiner Verwandlung nur mitleiderregendes
Opfer, so hindert ihn das doch nicht, kaum daß er
sich in seiner neuen Gestalt himmelaufwärts schwingt,
zum Täter zu werden, zu einer Gefahr für seine Mitmenschen.
Die Wandlung ist konsequent. Erntete Mariposa zuvor
nur Spott, Hohn und verletzende Ablehnung, sobald
er sich einem weiblichen Wesen näherte — sogardie Prostituierten verweigerten sich ihm —, sind seinem
hypnotischen Blick nun, als Schmetterlingswesen, alle
Frauen verfallen, folgen ihm, willenlos bis zur Selbstaufgabe.
Mariposa bekennt, diese übermächtig erotisierende
Ausstrahlung habe er nicht gewollt, und bezeichnet
diese »maßlos unersättliche Geschlechtsgier« als Plage.
Und dennoch klingt in diesem krassen Rollentausch
das Motiv der Rache mit, der Rache an jenen, die zuvor
nur die äußere, behinderte Gestalt erblickten und
den reichen Geist dahinter nicht sahen oder nicht sehen
wollten. Wie aber stets erwächst aus der Rache
nichts Positives, selbst für den Helden nicht, gebietet
er doch nun lediglich über »besessene Sklaven« und
muß weiterhin der Liebe entsagen.
In übermenschliche Höhen hat Mariposa sich kraft
wissenschaftlicher Experimente emporgeschwungen:
Nun muß er erkennen, daß er in dieser Höhe allein ist.
Gerade die neu erworbene Macht über den Menschen
entrückt ihn der menschlichen Nähe, läßt ihn sogar
zum Unmenschen werden. Zwar ist er unglücklich darüber,
andere zu versklaven, doch enthebt ihn das nicht
der Schuld. Mariposa wird paradoxerweise gerade in
der
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