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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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muß sich auf die Schwelle seiner Zellentür stellen: »Einzelhäftlinge«, schreit eine Stimme, »Inspektion des Gouverneurs.« Von fünf Offizieren der Kolonialtruppe begleitet, offensichtlich alles Ärzte, geht ein großer Mann, elegant, silbergraues Haar, langsam den Gang entlang, an jeder Zelle vorbei. Ich höre, daß man ihm die Sträflinge mit langen Strafen vorstellt und den Grund ihres Hierseins. Bevor er zu mir herankommt, muß ein Mann von der Schwelle aufgehoben werden, weil er nicht die Kraft hatte, sich so lange aufrecht zu halten. Menschenfraß. Er heißt Graville. Einer der Militärs sagt: »Aber der da ist ein lebender Leichnam!«
    Der Gouverneur antwortet: »Sie sind alle in einem so bedauernswerten Zustand.« Die Kommission kommt zu mir heran. Der Kommandant sagt: »Dieser hier hat die längste Korrektionsstrafe.«
    »Wie heißen Sie?« fragt der Gouverneur.
    »Charrière.«
    »Ihre Strafe?«
    »Acht Jahre für Diebstahl von Staatseigentum und so weiter, Mord, drei und fünf Jahre, ungerechnet die ordentliche Strafe.«
    »Wieviel hast du schon hinter dir?«
    »Achtzehn Monate.«
    »Seine Führung?«
    »Gut«, sagt der Kommandant.
    »Gesundheitszustand?«
    »Einigermaßen«, sagt der Arzt.
    »Was haben Sie vorzubringen?«
    »Daß dieses Regime unmenschlich ist und nicht würdig eines Volkes wie die Franzosen.«
    »Die Gründe?«
    »Totales Redeverbot, kein Spaziergang und außer in den letzten Wochen keine ärztliche Behandlung.«
    »Führen Sie sich gut, und vielleicht erhalten Sie eine Begnadigung, wenn ich noch Gouverneur bin.«
    »Danke.«
    Von diesem Tag an gab es auf Anordnung des Gouverneurs und des Chefarztes, die von Martinique und Cayenne herübergekommen waren, jeden Tag eine Stunde Spaziergang mit einem Bad im Meer, in einer Art Schwimmbassin, wo die Badenden durch große Steinblöcke vor den Haifischen geschützt sind.
    Jeden Morgen um neun Uhr gehen alle Korrektionshäftlinge vollkommen nackt, in Gruppen zu hundert, zum Bad hinunter. Die Frauen und Kinder der Aufseher müssen unterdessen im Haus bleiben, damit wir nackt hinuntersteigen können.
    Nun dauert das schon einen Monat. Die Gesichter der Männer sind völlig verändert. Diese Stunde Sonne, dieses Baden im Salzwasser, man kann sagen eine Stunde täglich, hat diesen Haufen moralisch und physisch kranker Sträflinge radikal verwandelt.
    Eines Tages, während wir vom Bad ins Gefängnis zurückkehren, ich bin einer der letzten, sind verzweifelte Schreie einer Frau zu hören und zwei Revolverschüsse. Ich höre: »Zu Hilfe, mein Kind ertrinkt!« Die Schreie kommen vom Kai, der nur aus einer schrägen Betonmauer, die direkt ins Meer führt, besteht und wo die Boote anlegen. Weitere Schreie.
    »Die Haifische!« Und nochmals zwei Revolverschüsse. Während sich alle nach den Hilferufen und den Revolverschüssen hindrehen, stoße ich ohne zu überlegen einen Wächter beiseite und laufe ganz nackt zum Kai hinunter. Dort angelangt, sehe ich zwei Frauen in heller Verzweiflung schreien, drei Aufseher und einige Araber.
    »Werft euch ins Wasser!« schreit eine Frau. »Es ist nicht weit! Ich kann nicht schwimmen, sonst täte ich es.
    Feige Bande!«
    »Die Haifische!« sagt ein Gammler und schießt von neuem.
    Ein kleines Mädchen in einem weiß-blauen Kleid schwimmt im Meer, es wird von einer leichten Brise sanft davongetragen, geradewegs auf den Zusammenfluß der Strömung hin, wo sich der »Friedhof der Sträflinge«
    befindet, aber es ist noch recht weit davon. Die Aufseher hören nicht auf zu schießen, und gewiß haben sie einige Haifische getroffen, denn um die Kleine herum wirbelt es im Meer.
    »Nicht mehr schießen!« rufe ich.
    Und ohne Zögern werfe ich mich ins Wasser. Durch die Strömung komme ich sehr schnell der Kleinen näher, die wegen ihres Kleides immer noch auf dem Wasser schwimmt und mit den Füßen strampelt, um die Haifische zu verjagen.
    Ich bin kaum noch dreißig oder vierzig Meter von ihr entfernt, da kommt ein Boot von Royale heran, man hat die Szene von weitem gesehen. Es trifft bei der Kleinen vor mir ein, sie wird an Bord gezogen und ist in Sicherheit. Ich weine vor Wut, ohne auch nur einen Augenblick an die Haie zu denken, und werde dann ebenfalls an Bord gezogen. Ich habe mein Leben umsonst riskiert.
    Wenigstens glaubte ich das. Aber einen Monat später, gewissermaßen als Anerkennung, erreichte Doktor Germain Guibert meine Entlassung aus der Einzelhaft, krankheitshalber.

Achtes Heft: Rückkehr nach Royale
Die

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