Papillon
Richtung ein, die er mir durch Handbewegungen angibt. Es ist tatsächlich ziemlich weit, mehr als eine Stunde trete ich schon in die Pedale. Wir kommen in ein reiches Viertel am Meer. Rundum lauter schöne Villen. Auf ein Zeichen des »Schwiegervaters« halte ich an und beobachte, was er tut. Er nimmt einen runden weißen Stein aus seiner Tunika und kniet auf der ersten Stufe der Treppe vor einem Haus nieder. Während er den Stein auf der Stufe hin und her rollt, singt er. Nach einigen Minuten tritt eine Frau in indischer Kleidung aus der Villa, nähert sich ihm und übergibt ihm etwas, ohne ein Wort.
Diese Szene wiederholt sich von Haus zu Haus, bis sechzehn Uhr. Solang diese Geschichte auch dauert und so aufmerksam ich sie auch verfolge, ich komme nicht dahinter, was das bedeuten soll. Bei der letzten Villa kommt ein weißgekleideter Mann auf ihn zu. Er hebt den Alten auf, nimmt ihn am Arm und führt ihn bis zum Haus hin. Nach einer Viertelstunde kommt mein Alter, wieder von diesem Herrn begleitet, heraus, und der Herr küßt ihn beim Abschied auf die Stirn oder besser auf seine weißen Haare. Dann fahren wir heim, und ich radle so schnell ich kann, denn inzwischen ist es halb fünf geworden.
Glücklicherweise sind wir noch vor Einbruch der Dunkelheit daheim. Meine hübsche Indara führt zuerst ihren Vater ins Haus und springt mir dann an den Hals, bedeckt mich mit Küssen und schleppt mich zur Dusche.
Frische Wäsche liegt bereit, und gewaschen, rasiert und umgezogen setze ich mich zu Tisch. Wie üblich serviert sie mir selbst. Ich möchte sie allerlei fragen, aber sie eilt hin und her, spielt die Vielbeschäftigte, um meine Fragen so lange wie möglich hinauszuschieben. Ich brenne vor Neugier. Aber ich weiß, daß man einen Hindu und auch einen Chinesen nie zwingen soll, irgend etwas zu sagen. Man muß immer eine gehörige Weile warten. Dann spricht er nämlich ganz von selber, denn er vermutet, ja er weiß, daß man von ihm eine Beichte erwartet, und falls er uns einer solchen für würdig erachtet, tut er es auch. Das gleiche hat sich mit Indara abgespielt. Nachdem wir uns hingelegt und sehr lange geliebt haben und sie nun süß entspannt ihre noch glühende Wange in meine nackte Achselhöhle legt, spricht sie auf einmal, ohne mich anzusehen: »Weißt du, Liebling, wenn Papa das Gold sammeln geht, tut er nichts Schlechtes. Im Gegenteil.
Er ruft die Geister herbei, damit sie das Haus beschützen mögen, wo er seinen Stein rollt. Zum Dank dafür gibt man ihm ein Stückchen Gold. Es ist eine sehr alte Sitte in unserer Heimat, auf Java.« So erzählt es mir meine Prinzessin. Aber eines Tages unterhält sich eine ihrer Freundinnen mit mir auf dem Markt. An jenem Morgen waren weder mein Mädchen noch die Chinesen anwesend. Da erzählt mir die hübsche Javanerin eine ganz andere Geschichte.
»Warum arbeitest du noch weiter«, fragt sie, »seitdem du mit der Tochter dieses Hexers lebst? Schämt sie sich nicht, dich so früh aufstehen zu lassen, sogar bei Regenwetter? Mit dem Gold, das ihr Vater verdient, könntest du ohne zu arbeiten leben. Sie liebt dich noch nicht richtig, sonst dürfte sie dich nicht so früh aus den Federn lassen.«
»Was macht denn ihr Vater?« frage ich sie. »Erkläre es mir, ich habe keine Ahnung.«
»Ihr Vater ist ein Hexer aus Java. Wenn er will, bringt er den Tod über dich oder deine Familie. Die einzige Möglichkeit, der Verhexung zu entgehen, die er mit seinem magischen Stein heraufbeschwört, ist die, ihm genug Gold zu geben, damit er den Stein in eine andere Richtung rollt als in jene, die den Tod herbeiruft.
Dann wendet er alles Unglück ab und läßt Gesundheit und Lebensfülle auf dich und die Deinen, die in dem Hause leben, herabkommen.«
Das klingt ganz anders als das, was Indara mir erzählt hat, und ich beschließe, eine Probe zu machen, wer von den beiden recht hat.
Wenige Tage später bin ich mit meinem »Schwiegervater« am Ufer eines Baches, der Penitence Rivers durchfließt und in den Demerara mündet. Der Gesichtsausdruck der Hindufischer hat die Sache völlig geklärt, denn jeder bietet ihm einen Fisch an und sucht dann so schnell wie möglich das Weite. Da habe ich verstanden. Ich brauchte niemanden mehr zu fragen.
Mich selbst stört dieser »Schwiegervater-Hexer« in keiner Hinsicht. Er spricht zu mir nur in seiner Sprache und nimmt an, daß ich ein wenig davon verstehe. Doch was immer er sagt, ich verstehe kein Wort. Das hat sein Gutes, man kann nicht in
Weitere Kostenlose Bücher