Papillon
einem großen, dampfenden Topf Schokolade oder Kakao wieder. Jeder von uns trinkt einen von den großen Bechern voll, die der Gefangene mitgebracht hat.
Am Nachmittag kommt man mich holen. Es geht wieder ins Büro des Kommandanten.
»Der Gouverneur hat mich beauftragt, Sie im Hof des Gefängnisses frei umhergehen zu lassen. Sagen Sie Ihren Kameraden, sie sollen nicht versuchen, auszubrechen, die Folgen wären sehr hart. Sie als Kapitän können jeden Vormittag zwei Stunden, von zehn bis zwölf, und jeden Nachmittag von drei bis fünf in die Stadt gehen. Haben Sie Geld?«
»Ja. Westindisches und französisches.«
»Ein Polizist in Zivil wird Sie begleiten, wohin Sie wollen.«
»Was wird man mit uns machen?«
»Wir werden Sie, jeden einzeln, auf Öltanker verschiedener Nationen einzuschiffen versuchen, glaube ich. In Curacao ist eine der größten Erdölraffinerien der Welt, sie verarbeitet das Petroleum aus Venezuela.
Zwanzig bis fünfundzwanzig Öltanker aus allen Ländern legen täglich hier an und laufen von hier wieder aus. Das wäre für Sie die günstigste Lösung, so könnten Sie ohne Schwierigkeiten ins Ausland gelangen.«
»Wohin, zum Beispiel? Nach Panama? Nach Costa Rica? Nach Guatemala? Nach Nicaragua, Mexiko, Kanada, Kuba? In die USA oder in die englischen Kolonien?«
»Das ist unmöglich. Auch Europa ist unmöglich. Aber beruhigen Sie sich und haben Sie Vertrauen zu uns.
Wir werden Ihnen behilflich sein, den Weg in ein neues Leben zu finden.«
»Danke, Herr Kommandant.«
Ich berichte das alles wahrheitsgetreu meinen Kameraden. Clousiot, der Gerissenste von uns, fragt mich:
»Was ist deine Meinung, Papillon?«
»Ich weiß noch nicht. Ich fürchte, es ist ein Bluff, um uns zu beruhigen, damit wir nicht ausbrechen.«
»Ich fürchte, du hast recht«, versetzt er. Der Bretone glaubt an dieses Wunder. Der Kerl mit dem Bügeleisen frohlockt. »Kein Boot mehr, kein Abenteuer! Jeder kommt mit einem großen Öltanker in irgendein Land und wird dort offiziell aufgenommen.« Leblond ist der gleichen Ansicht. »Und du, Maturette?« frage ich. Und das Küken von neunzehn Jahren, dieses Nesthäkchen, das zufällig in einen Bagnosträfling verwandelt wurde, dieser Knirps mit dem Weibergesicht, sagt mit seiner seidenweichen Stimme:
»Und ihr glaubt, daß diese Quadratschädeln von Polizisten für jeden von uns zweifelhafte oder gar falsche Papiere ausstellen werden? Das glaube ich nicht. Bestenfalls werden sie ein Auge zudrücken und uns einen nach dem andern heimlich an Bord eines Öltankers bringen, mehr nicht. Und das werden sie nur tun, um uns ohne viel Kopfzerbrechen loszuwerden. Das ist meine Ansicht. Ich glaube nicht an diesen Roman.«
Ich gehe sehr wenig aus. Höchstens am Vormittag, um ein paar Einkäufe zu machen. Eine Woche geht herum – nichts Neues. Wir fangen an, nervös zu werden. Eines Nachmittags sehen wir drei von Polizisten umgebene Pfarrer, unter ihnen ein Bischof, von Zelle zu Zelle gehen. Sie halten sich lange in der Nachbarzelle auf, in der sich ein Schwarzer befindet, der wegen Vergewaltigung angeklagt ist. In der Annahme, daß sie auch zu uns kommen werden, kehren wir alle in unser Zimmer zurück und setzen uns auf unsere Betten. Und tatsächlich, sie kommen alle drei herein, begleitet von Doktor Naal, dem Polizeikommandanten und einem weiß Uniformierten mit Goldborten, vermutlich einem Marineoffizier.
»Das sind die Franzosen, Exzellenz«, sagt der Polizeikommandant auf französisch. »Sie haben sich mustergültig aufgeführt.«
»Ich gratuliere euch, meine Kinder. Setzen wir uns da um den Tisch, da können wir besser plaudern.« Alle setzen sich auf die Bänke, die Begleiter des Bischofs Inbegriffen. Für den Bischof wird ein Sessel, der vor der Tür im Hof steht, herein getragen und an die Schmalseite des Tisches gestellt. Damit der Bischof alle gut überblicken kann.
»Die Franzosen sind fast alle Katholiken. Wer unter euch ist keiner?« Niemand hebt die Hand. Ich sage mir, daß mich der Gefängnisgeistliche in der Conciergerie beinahe getauft hat, also darf auch ich mich getrost als Katholik betrachten.
»Ich stamme aus Frankreich, meine Freunde, und heiße Irene de Bruyne. Meine Ureltern waren Hugenotten, die in Holland Schutz suchten, als Katharina von Medici sie mit dem Tod bedrohte. Ich bin also französischen Blutes, Bischof von Curacao, einer Stadt, in der es mehr Protestanten als Katholiken gibt, aber in der die Katholiken echte, ich meine praktizierende
Weitere Kostenlose Bücher