Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
und manchmal behält er Leichenteile von seinen Opfern auf“, erzählte Ignacio leise und Vincent sah ihn ungläubig an.
„Das sagt man?“ fragte er.
„Ja, das sind so die Geschichten. Er sitzt zwar in Concepcion, aber er hat einige Geschäfte hier laufen und die Banden arbeiten wohl auch für ihn. Weisst du, die haben in Chacarita überall die Hände drinnen und ziehen die Kinder in ihren Dienst. Die schmuggeln die Waren und verkaufen die Drogen in der ganzen Stadt. Ausserdem schaffen sie sie über alle Grenzen. Ich weiss nicht, ob der Sohn von meiner Schwester nicht auch schon dazu gehört. Es ist zum Kotzen.“ Ignacio schüttelte traurig den Kopf. Dann fuhr er weiter:
„Marcial hat Verbindungen nach Brasilien und Argentinien und anderen Ländern. Naja, Cuidad des Este ist für niemanden eine Schranke, da haben alle ihre schmutzigen Finger drinnen, die ein paar Schutzgelder erpressen wollen oder eine dreckige Ware verscherbeln. Aber der Mann hat den Ruf, brutal zu sein. Ich meine, wenn du den Ruf in Chacarita hast, dann heisst das was. Hier verschwinden immer wieder Leute“, erklärte Ignacio.
„Hast du etwas darüber herausgefunden, ob er Priester ist?“ fragte Vincent weiter.
„Davon habe ich nichts gehört. Das kann wohl kaum stimmen. Die Leute nennen ihn auch el Aniquilador, aber nur leise, hinter vorgehaltener Hand und so“, sprach Ignacio weiter. „Ich habe gehört, dass er manchmal Leute von der Strasse anlockt und dann findet man sie tot. Sie sind dann grauenhaft verstümmelt. Jemand hat gesagt, dass es wie ein Triebverbrechen aussieht. Es seien sogar schon Kinder verschwunden, meistens irgendwelche Streuner, die zu niemandem gehören.“ Ignacio starrte auf den Fluss und sein Gesicht war fahl. „Der eine, den ich gefragt habe und der alles über Chacarita weiss und wer da an der Macht ist, sagt, Marcial zieht die Kraft aus den Leuten die er tötet. Deswegen nennt man ihn el Aniquilador.“
„Der Vernichter“, übersetzte Vincent leise. Ein etwas bedrückender Rufname.
„Weisst du, es macht den Eindruck, dass du schon dein Leben riskierst, wenn du nach ihm fragst. Ich habe gehört, dass er schon Leute umgebracht hat, nur weil sie ihn einmal gesehen haben und er sich nicht sicher war, dass er ihnen hat vertrauen können“, sagte Ignacio.
„Und das war wahrscheinlich der Moment, in dem du deine Nachforschungen eingestellt hast“, riet Vincent und Ignacio blickte auf das Wasser. Ein Schwarm Schwalben flog vom Ufer auf und ihr gellendes Zwitschern durchdrang die Luft, als eine Ratte zwischen den Abfällen hindurchhuschte.
„So ist es hier“, sagte Ignacio. „Die die wegfliegen, machen Lärm, weil sie es sich leisten können. Aber die die am Boden bleiben müssen, halten sich so ruhig wie sie nur können.“
„Vielen Dank, mein Freund“, sagte Vincent nach einer Pause. „Ich hoffe, du hast nichts riskiert.“
„Mhm, das hoffe ich auch“, murmelte dieser und drehte seinen Grashalm zwischen den Fingern.
Vincent kehrte in die Wohnung zurück, wo Consuelo ihn erwartete. Sie blickte ihn undurchdringlich an, als er eintrat und folgte seinen Bewegungen, als er seine Waffen ablegte und die Hände wusch.
„Wusstest du, wie Marcial auch genannt wird“, fragte er, als er mit dem Handtuch in der Hand aus dem Bad trat. „El Aniquilador.“
Sie widerholte lautlos den Namen und fragte: „Was hast du vor, Vincent?“
„Ihn zur Rede zu stellen“, schlug er vor.
„Das wird sich nicht lange hinziehen“, sagte Consuelo darauf.
„Wie meinst du das?“ fragte er.
„Du wirst die Antwort auf seine Frage wahrscheinlich nicht mehr hören, meine ich“, sagte sie. „Je länger ich darüber nachdenke, desto gefährlicher scheint er mir.“
„Deswegen sollen wir warten, bis er ein netter Mensch wird? Jemand muss ihn doch aufhalten“, erwiderte Vincent.
„Aber wir beide allein sind zu wenig. Er hat zu viele Zuträger und Abhängige. Die tun alles, was er sagt“, gab Consuelo zu bedenken.
„Jeder hat seine Schwachstellen“, beharrte Vincent.
„Ja, jeder, auch du!“ rief sie.
„Sicher.“ Er seufzte. „Schau Consuelo, ich habe so ziemlich alles falsch gemacht und mir meine Zukunft richtig zerstört. Ich weiss nicht ganz, was mich dazu getrieben hat, früher habe ich mal nachgedacht, bevor ich die falschen Leute angebrüllt habe. Aber jetzt ist es eben so. Ich habe keine Zukunft, auf die ich Rücksicht nehmen muss. Ich habe eigentlich überhaupt nichts mehr.
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