Paradies. Doch kein Himmel (German Edition)
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Obgleich Luz ihn besucht hatte, war die Begegnung in eine Konfrontation gemündet, so dass die junge Frau mit einem Fluch die Wohnung verliess, den Vincent zu seinem Heil nicht verstand, denn sie hatte in Guarani geschrien.
Vincent hatte mit einem Akt der inneren Gewalt seine unbändigen Zweifel niedergezwungen. Er führte sich der Normalität wieder zu, indem er die Fragen, die ihn erschüttert hatten, einfach unter der anfallenden Arbeit begrub. Er dachte nicht mehr daran und wenn der Gedanke wiederkehrte, so begann er, seinen Kopf mit etwas anderem zu beschäftigen, zum Beispiel mit den Statistiken über frühen Tod durch Fehlernährung oder er hing einer erotischen Träumerei nach. Beides half, irgendwie. Denn was brachte es ihm, das Hilfswerk in Frage zu stellen, wenn er keine bessere Lösung kannte? Er arbeitete mit Verve am Engagement des Roten Rings und seiner Verpflichtungen gegenüber Paraguay und seiner Bevölkerung. In seinem fast wütenden Tun fiel ihm nicht auf, dass er nicht mehr der Mann war, der vor Monaten nach Südamerika gekommen war.
So wurde Vincents Einsatz zum Auftrag, er wurde zu einem Söldner des Hilfswerks, wo er sich zunächst mit Leib und Seele eingesetzt hatte. Dies aber gelang ihm nicht mehr, er war nicht mehr überzeugt, sein Elan war erloschen, er war zum Angestellten geworden und führte Aufträge nach vorgefertigtem Muster aus. An der Stelle seines bisherigen Enthusiasmus breitete sich ein blindes Feld aus, ein dichtes Netz ungefragter Fragen und verschluckter Antworten, doch der Alltag hob ihn darüber hinweg und er arbeitete viel und zielorientiert, nur hielt er sich von seinen Gedanken fern.
Indem Vincent an seinem Schreibtisch sass, erhielt er die Nachricht, dass ihn Nuuk Gerecke angerufen hätte. Er runzelte die Stirn und überlegte. Er war der Dame Doktorin wohl nicht in seiner besten Verfassung entgegen getreten. Was ihn wohl dazu getrieben hatte, ihr nach einer durchzechten Nacht anzurufen? Schliesslich schloss er seine Bürotür und rief über das Internettelefon zurück.
„Gerecke.“
„Guten Tag, hier ist Vincent Thal“, sagte er und wartete mit einiger Spannung auf die Reaktion.
„Oh, Sie rufen zurück!“ sagte sie überrascht. „Wir hatten uns letztens auf das du geeinigt, nicht?“ schloss sie an und ihre Stimme klang etwas unsicher. Vincent vermisste die ihr eigene Strenge und war unbestimmt enttäuscht.
„Ja. Was führt dich denn zu mir?“
„Naja, ich hatte mir noch Gedanken gemacht wegen deines Telefons von kürzlich und ich – na eben, ich habe nachgedacht, was das ist mit Transmar. Ist es wirklich so schlimm? Ich meine, machen die was Illegales?“ Nuuk sprach schnell und schien kaum Atem zu holen.
„Wir sind hier in Paraguay, die Richtlinien für illegal und legal sind ein bisschen anders als in Europa…“, meinte Vincent darauf.
„Wie denn? Es ist doch eine ganz einfache Sache, ob etwas legal und rechtmässig ist oder nicht.“
Vincent überlegte, wie man auf diesen Trugschluss verfallen konnte. Wahrscheinlich, indem man die EU-Richtlinien und die europäische Rechtstaatlichkeit für bare Münze nahm. Aber wo er nun war, gab es diese Einfachheit nicht. Es herrschte eine andere Einfachheit.
„Ich glaube, so übersichtlich ist es nicht, Nuuk“, sagte er. „Es ist nicht illegal, Soja zu pflanzen, aber es ist rücksichtslos, Leuten die Grundlage zum Essen wegzunehmen. Das Land, das für den Anbau für Soja genutzt wird, fehlt für den Anbau der Lebensmittel, die hier benötigt werden. Und verstehst du, das passiert hier. Unweigerlich. Jeden Tag. Die Leute, die hier reich sind, sind so reich, dass sie über dem Gesetz stehen. Die Leute aber, die arm sind, sind so arm, dass keine Statistik sie wirklich erfasst. Sie sind die landlose Bevölkerung, die undokumentierte Nachkommenschaft aus den Slums oder streunende Bettler. Wenn die Lebensmittelpreise steigen, verlieren die hier jede Chance. Das ist aber nicht alles: Die steigenden Nahrungspreise schöpfen immer mehr auch eine untere Mittelschicht ab. Die Familien, die vorher eine einfache, aber bequeme Lebensweise hatten, können sich kein Abendessen mehr leisten.“
„Aber gibt es denn niemanden, der sich darum kümmert?“ fragte Nuuk nach einer Pause.
„Du meinst abgesehen von mir und anderen Leuten bei verschiedenen Hilfswerken?“ fragte er wider. „Es kümmert sich niemand darum, weil die Armen ausserhalb von allem stehen und die Wohlhabenden diese Leute
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