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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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gemacht, diese Mauer zu zerstören, so dass ich hinauskonnte. Sie hatte, und das war ein unheimlicher Gedanke, einfach begonnen, darüberzuklettern. In dem Moment, in dem sie Kopfstand in einer Weide gemacht hatte. Wir hatten etwas gemeinsam, Lotta und ich, und wenn sie auf meiner Seite der Mauer ankam, wäre sie viel zu dicht bei mir.
    So beschloss ich, sie einfach zu ignorieren. Vielleicht war Lotta in ihrem Leben einfach schon so viel ignoriert worden, dass sie sich manchmal selbst ignorierte und ihren Aktivitätsgrad auf den einer Pflanze herunterschraubte. Einer kaugummikauenden Pflanze.
    Ich war alleine im Auto. Ich konnte tun, was ich wollte.
    Ich machte das Radio an, NDR Kultur – irgendeine Verdi-Arie – und bog auf die Autobahn ab. In Richtung Hamburg statt in Richtung Stralsund. Und da war sie, die Ausfahrt.
    Rostock Südstadt.
    Ich drosselte den Motor, ohne hinauszufahren, was den Autofahrer hinter mir zu einem ärgerlichen Hupen animierte, aber Verdi übertönte das Hupen weitgehend. Ich beobachtete den Kilometerzähler. Drei Kilometer. Ich hielt auf dem Seitenstreifen. Draußen schlug mir ein kalter Wind entgegen; hier konnte er ungehindert die Welt entlangfegen, die Böen überschlugen sich auf dem leeren Asphalt wie Gedanken.
    Die A 20 war nahezu leer. Sie war nahezu leer, seit sie gebaut worden war.
    Ich stand einen Moment da und zitterte und tat sonst gar nichts. Aus dem offenen Auto klang Verdi, und ich drehte mich zu seiner Musik um mich selbst und versuchte, den Ort in mich aufzunehmen. Es war ein Nicht-Ort, es gab nichts zu sehen, überhaupt nichts, nur die Böschung und die Fahrbahn. Was hatte ich erwartet? Dass am Straßenrand Davids rot-grüner Pullover lag? Dass ich eine plötzliche Erleuchtung hatte und vor mir sah, was geschehen war, wie in einem Film?
    Schließlich stieg ich über die Leitplanke und kletterte den Hang hinauf, begleitet von Wind und Verdi. Von der Böschung aus sah ich hinab auf die Straße – dort hatte David gestanden, abends um neun Uhr, in der Dämmerung. Er war, hatte der Fahrer des Unfallwagens gesagt, ganz plötzlich aufgetaucht …
    Und dann merkte ich, dass es doch etwas zu sehen gab. Eine schwarze Doppellinie, die sich quer über die Fahrbahn zog. Bremsspuren. Hatte jemand plötzlich gebremst, vielleicht nach einem Handgemenge im Auto, und David erst dann herausgelassen?
    Die Spuren begannen in der Mitte der Fahrbahn und führten in einem weiten Bogen zum linken Rand. Es waren die Spuren des Wagens, der David überfahren hatte. Natürlich.
    Und auf einmal war mir, als hörte ich den Schreckensschrei des Fahrers, das Quietschen der Bremsen, das dumpfe Geräusch, das entstand, als die Kühlerhaube den kleinen Körper erfasste und durch die Luft schleuderte. Den Aufprall des Körpers auf dem Asphalt. Dann die Stille, in der der Fahrer ausstieg und zu dem Körper ging, sich über ihn beugte, womöglich einen Puls suchte, nach seinem Handy tastete, um irgendeine Nummer mit Nullen und Einsen anzurufen.
    Ich merkte, dass mein Herz raste, als wäre ich selbst der Fahrer des Unfallwagens.
    Ich musste mit ihm sprechen. Unbedingt.
    Niemand kann plötzlich in der Dämmerung auftauchen, von irgendwoher musste David gekommen sein. War er auf die Straße hinausgetreten, um jemanden zum Anhalten zu bringen, der ihm helfen konnte? Hatte er gewinkt? War er schon verletzt gewesen, hatte er versucht, wegzukriechen, dem Auto auszuweichen? War er die Straße entlanggewandert, getorkelt vielleicht, wenn nicht verletzt, dann unter Einwirkung irgendeiner Droge? Und wenn jemand dies absichtlich getan hat, dachte ich plötzlich, wenn jemand versucht hat, David umzubringen – wird er es noch einmal versuchen? Meine Finger fanden mein eigenes Handy in Sekunden.
    Eine Schwester meldete sich, Schwester Barbara. Ich hatte ihr Gesicht vergessen.
    »Wenn jemand auf die Station kommt, den Sie nicht kennen«, sagte ich. »Den lassen Sie doch nicht rein, oder? Was ist mit nachts? Bewacht jemand die Patienten nachts?«
    »Wer sind Sie?«, fragte Schwester Barbara.
    »Berek«, sagte ich. »Lovis Berek. Mein Sohn liegt bei Ihnen … Sie lassen doch niemand Unbekannten zu ihm?«
    »Natürlich nicht«, sagte Schwester Barbara. »Wer sollte ihm denn etwas antun wollen? Wieso?«
    »Wenn ich das wüsste«, sagte ich und legte auf.
    Dann rannte ich die Böschung hinunter; ich musste rennen, ich musste die Energie loswerden, die sich auf einmal in mir angestaut hatte, die Energie der Angst. Unten

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