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Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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schon besorgt, es ist noch schöner und heißt DOKTOR DES PARADIESES. Darauf sind Palmen und ein Strand, und der Titel passt ja außergewöhnlich gut. Ich denke, bei Buch 5 oder 6 wird Herr Wenter davon überzeugt sein, dass Ärzte nicht gefährlich sind, sondern es eine gute Idee wäre, hinzugehen.

Ad 2) René
Lotta hat gesagt, sie hat gesehen, wie die Jungs von der Bushaltestelle wieder Steine geworfen haben. Ich ging daher zu René, der nicht über Steine reden wollte, aber eine neue Schramme unter dem linken Auge hatte. Er trug keine Verbände mehr an den Händen.
»Hab ich abgemacht«, erklärte er und grinste. »Stört.«
»Aber die wachsen schief zusammen«, sagte ich, »die Knochen, wenn man die nicht richtig schient.«
»Schief is okay«, sagte René. »Is egal.«
Renés Mutter sagte, die Steine könnte man nicht ändern, aber René sollte zu Hause bleiben, wenn es dämmerig wird. Nur ist die Dämmerstunde seine liebste, vielleicht, weil die Autos in der Dämmerstunde Lichter anhaben und er es schöner findet, Autos mit Lichtern zu winken. Aber die Dämmerstunde ist auch die liebste Stunde der Jungs von der Bushaltestelle, weil sie sich dann betrinken können, ohne dass es so sehr auffällt, oder falls sie arbeiten, haben sie dann frei (ich glaube aber, die meisten von ihnen haben keine Arbeit). Lottas Bruder Marcel ist nicht immer dabei, sagt sie. Manchmal hat er auch Angst, weil er selbst nicht sehr schlau ist, nur ein bisschen schlauer als René, und es könnte ja sein, dass sie eines Tages die Steine auf ihn werfen. Ich glaube, die Jungs von der Bushaltestelle sind alle nicht besonders schlau. Weshalb sie jemanden brauchen, der noch etwas weniger schlau ist als sie, damit sie ihre eigene Nichtschläue vergessen können.
»Es ist ein Glück, dass sie nicht schlau sind«, sagte ich, »denn wer nicht schlau ist, dem kann man schnell Angst einjagen.«
»Was willst du machen?«, fragte Lotta. »Dich als Geist verkleiden und sie erschrecken?«
»Nein«, sagte ich. »Viel einfacher. Sie knipsen.«

Wir nahmen Lovis Fotoapparat, weil sie einen ziemlich guten Apparat hat und weil der Apparat ein Blitzlicht besitzt. Es war notwendig, sich zu verstecken, und deshalb versteckten wir uns. Wir taten das in einem Gebüsch auf der Straßenseite gegenüber vom Bushäuschen. Dann warteten wir auf die Jungs, die kamen, und auf René, der nicht kam.
Wir versteckten uns drei Tage lang, immer in der Dämmerung, immer mit dem Apparat, es war ein bisschen, als säße man beim Angeln und würde auf die Fische warten. Lovis wurde zweimal ärgerlich, weil ich beim Abendessen unauffindbar war. Ich sagte ihr, ich hätte draußen gespielt, was nur begrenzt gelogen war.
Am vierten Abend tauchte René auf. Er schlenderte die Straße entlang, die Hände in den Hosentaschen, und guckte sich um, ob Autos da wären zum Winken. Als er am Bushäuschen vorbeiging, pfiffen die Jungs, es waren vier an diesem Abend. Sie stießen sich an und lachten, und dann hob wirklich einer einen Stein auf und warf. René zuckte zusammen. Er ging weiter, und der nächste Stein kam angeflogen, und danach der übernächste. Es waren nur kleine Steine, und jetzt nahm René langsam die Hände aus den Hosentaschen und schlug durch die Luft, als wollte er Mücken abwehren. Aus dem Bushäuschen sickerte giftiges Gelächter. Doch die Mücken ließen sich nicht vertreiben, sie kamen jetzt in kleinen Schwärmen: Hände voll Kies. Ich sah, wie ihn einer der Mückenschwärme an der Backe traf, und als er sich über die Backe wischte, war Blut an seinen Händen, ein wenig nur, Blut aus einer kleinen Schramme, aber was heißt »ein wenig nur«? Es war zu viel. »Den Fotoapparat!«, flüsterte Lotta und stieß mich an. Ich hatte den Apparat beinahe vergessen.
Jetzt hob ich ihn, klappte den Blitz aus und zwang mich, mich aufs Fotografieren zu konzentrieren. Es war nicht einfach, weil ich sehr böse war und eigentlich lieber ins Bushäuschen gerannt wäre, um die Jungs anzuschreien, aber so dumm bin ich nicht.
Ich drückte ab, als der nächste Mückenschwarm kam, und einen Moment lang waren René und die Straße und das Bushäuschen hell erleuchtet. René hob wieder eine ungeschickte Hand, und im Bushäuschen sah man die verblüfften Gesichter der Jungs, die eben noch hatten lachen wollen und jetzt mit offenem Mund ins plötzliche Licht starrten. Das Bild hing noch vor mir in der Luft, als es schon wieder dunkel war; ich sah das verwischte Blut auf Renés Backe und seinen

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