Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
verwirrten Blick. Eine Weile war es sehr still um uns. René stand einfach still auf der Straße. Keiner wusste, woher das Licht gekommen war.
Ich streckte eine Hand aus und legte sie auf Lottas Arm, damit sie uns nicht verriet.
Schließlich hörten wir etwas wie eine Frage aus dem Bushäuschen, sie murmelten jetzt wieder dort, flüsterten, sprachen endlich wieder lauter, und ihre Worte lösten auch Renés Starre, er ging weiter – und Lotta flüsterte: »Los!«
Ich drückte ab, ohne zu sehen, was sie meinte, doch kurz darauf schrie René auf, ich sah, wie er seine Schulter festhielt, und dann rannte er. Er rannte ungelenk und nicht schnell. Ich drückte ein drittes und ein vierte Mal ab, knipste den rennenden René und noch einmal das Bushäuschen, und Lotta sagte: »Das war ein größerer Stein. Aber das war gut. Du hast sie. Mitten beim Werfen.«
Sie hatte das sehr leise gesagt, doch inzwischen hatten die im Bushäuschen begriffen, woher die Blitze kamen. Einer von ihnen rief etwas, und kurz darauf rannten sie ebenfalls. Sie rannten nicht weg wie René. Sie rannten über die Straße, auf uns zu.
Und dann rannten wir.
Wir rannten über eine Wiese, eine Straße hinunter und eine andere Straße hinauf, quer durchs Dorf, hinter uns die Schatten der Jungs.
Ich trug den Fotoapparat, aber Lotta war trotzdem langsamer als ich, weil ihre Beine kürzer sind.
»Komm!«, keuchte ich. »Schneller!«
Einmal fuhr ein Auto an uns vorbei, nämlich Jarsens schwarzer Jeep, und ich hoffte, dass seine Scheinwerfer uns nicht zu gut beleuchteten. Noch waren die Schatten weit genug weg. Vermutlich hatten sie uns nicht erkannt. Ich führte uns in einem Bogen zu der Pflasterstraße, in der die alte Kirche steht und am Ende unser Haus, und als ich die Mauernische erreichte, in der das Tor zum Kirchgrundstück eingelassen ist, duckte ich mich hinein.
Lotta war nicht mehr neben mir.
Ich drehte mich um und sah sie die Straße entlangkommen, ganz alleine. Hinter ihr rannten die Jungs. Ich wusste, dass sie wusste, wo ich war, weil wir uns schon häufiger in dieser Mauernische beim Tor versteckt hatten. Und sie hätte es geschafft, mich zu erreichen. Aber sie blieb stehen, mitten auf der Straße. Sie blieb stehen und drehte sich um.
Dann waren die schwarzen Gestalten bei ihr und umringten sie, und ich sah nichts mehr, nur noch ihre Rücken. Und ich dachte an Herrn Tielow. Ich dachte: Dies hier darf nicht geschehen.
In diesem Moment tat ich etwas völlig Bescheuertes. Ich schloss die Augen und betete. Ich meine, ich bin mir ziemlich sicher, dass es keinen Gott gibt, deswegen machen wir ja das Paradies selber, aber in diesem Moment betete ich. Mach, dass dies nicht passiert, betete ich, hilf Lotta, hilf Lotta, hilf Lotta.
Als ich die Augen wieder aufmachte, kam noch ein Auto. Dieses Auto bog in die Kopfsteinpflasterstraße ein, seine hellen Scheinwerfer fanden die Gruppe dort, und die Gruppe löste sich auf. Die großen, klobigen Bushäuschen-Schatten flohen. Kurz darauf beleuchtete das Auto nur noch eine kleine Gestalt, die mitten auf der Straße auf dem Boden saß, und dann stand die kleine Gestalt auf und rannte ebenfalls weg.
Das Auto war Claas’ Auto. An diesem Abend war ich sehr dankbar dafür, dass er erst so spät aus der Klinik kam. Als er vor unserem Haus hielt, stieg er aus und sah sich suchend um, aber er fand die kleine Gestalt nicht mehr.
Ich fand sie, kurze Zeit später.
Sie saß neben der Straße im letzten hohen Herbstgras und war noch immer außer Atem.
»Warum bist du denn stehen geblieben?«, fragte ich ärgerlich, weil ich mir Sorgen gemacht hatte. »Bist du total übergeschnappt oder was?«
»Nee«, sagte Lotta. »Die hätten dich doch gesehen. Wenn ich zu dir gerannt wäre. Dann hätten sie den Apparat kaputt gemacht … bestimmt …«
»Haben sie dich gehauen?«, fragte ich.
»Nee«, sagte Lotta. »Nur fast. Marcel war dabei, und er hat gesagt: Wartet, das ist ja meine Schwester, und dann war schon das Auto da.«
Aber als Lotta aufstand, hielt sie ihren Arm komisch, und da dachte ich, dass sie wahrscheinlich geschwindelt hatte. Sie hatten sie doch gehauen, oder auf den Boden geschubst und getreten.
»Weißt du«, sagte ich. »Beinahe hätte ich eben geglaubt, dass es doch so was wie einen Gott gibt, der einen beschützt.« Und ich lachte ein bisschen. »Komisch, was?«

Die Fotos habe ich ausgedruckt, und manche sind ganz gut geworden. Vor allem das, bei dem Lotta »los!« gesagt hat, sie hatte recht, ich habe einen von

Weitere Kostenlose Bücher