Paradies in Gefahr: Mittsommergeheimnis (German Edition)
Schnee bedeckt waren. Irgendwo dort oben entsprang der Lillälv, der sich wie ein silbriges Band durch das Tal schlängelte, bis er schließlich in den See mündete, dessen Oberfläche im hellen Sonnenschein wie Millionen von Diamanten glitzerte. Tiefgrüne Wälder reichten bis dicht an den Ort heran, der sich zu beiden Seiten des Lillälv erstreckte. Mehrere Brücken spannten sich über den Fluss und verbanden die beiden Ortshälften – Östra- und Västradal – miteinander. Es war ein herrlicher Platz, um hier zu leben.
Und es war ein Platz, den es zu schützen lohnte.
Seufzend strich Hanna sich eine Ponyfranse aus der Stirn. “Nicht so besonders gut”, antwortete sie auf Linneas Frage. “Ich fürchte, die Fronten sind ziemlich verhärtet.
Svenska Hotellen
besteht auf den
Trollfjällen
für sein Projekt und findet dabei natürlich die volle Unterstützung unseres Bürgermeisters.” Sie schüttelte den Kopf. “Aber damit kommen sie nicht durch. Nicht, solange der halbe Ort auf meiner Seite steht und meine Protestaktion unterstützt.”
Finja räusperte sich. “Hanna, ich … Versteh mich bitte nicht falsch, ich finde dein Engagement wirklich toll, aber ich frage mich, ob …” Sie neigte den Kopf ein Stück zur Seite und musterte Hanna. “Warum tust du das alles eigentlich? Weshalb ist dir der
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so wichtig?”
“Weil es ein einzigartiges Stück Natur ist, das vor der Zerstörung durch skrupellose Profitmacher bewahrt werden muss”, erwiderte Hanna energisch. “Ist das nicht Grund genug?”
“Nun …” Finja lächelte traurig. “Kann es nicht vielleicht sein, dass da doch noch etwas anderes dahintersteckt?”
“Etwas anderes?” Sie schüttelte entschieden den Kopf. “Ich weiß nicht, was du meinst!”
“Ich glaube, Finja spricht von Audrey”, schaltete sich nun Linnea ein. “Und offen gestanden, ich habe auch schon darüber nachgedacht, ob du das alles nicht nur tust, weil du aus irgendeinem Grund glaubst, es Audrey schuldig zu sein.”
Audrey …
Für einen Augenblick fühlte Hanna sich um fünfzehn Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt. Sie war wieder elf Jahre alt und mit ihren besten Freundinnen Finja und Linnea am Mittsommerabend im Wald unterwegs, um nach Elfen und Feen zu suchen.
Schon damals hatte Hanna eine enge Verbundenheit zur Natur empfunden. Sie spürte, dass die Wälder und die Berge, die Wiesen und Felder so etwas wie eine Seele besaßen. Eine Art von Magie, manchmal ganz schwach und kaum spürbar und dann wieder so deutlich, dass die Luft zu vibrieren schien. Und in der Schulbibliothek hatte sie ein Buch über Sagen und Mythen Schwedens entdeckt, in dem geschrieben stand, dass dieser Zauber in der Mittsommernacht am stärksten ausgeprägt sei. So stark, dass man die Wesen aus den alten Geschichten an Mittsommer finden konnte. Man musste nur fest genug daran glauben.
Doch alles, was sie fanden, war Audrey, das englische Au-pair-Mädchen von Finjas Familie. Oder viel mehr umgekehrt: Audrey fand sie.
Normalerweise mied die Siebzehnjährige den Wald, weil er ihr zu düster und zu unheimlich war. Hanna war nicht traurig darüber, denn zwischen ihr und der jungen Engländerin herrschte ein sehr zwiespältiges Verhältnis. Wie die meisten Kinder an der Schule zog auch Audrey sie immer wegen ihres Vaters auf. Doch anders als bei ihren Mitschülern traf Hanna der Spott des Au-pairs wirklich hart – vermutlich, weil sie von Anfang an zu dem hübschen, selbstbewussten Mädchen aufgeblickt hatte.
In jener Nacht war Audrey ihnen also gefolgt. Während sich über dem Tal ein Sturm zusammenbraute, hatte sie ihnen eine gespenstische Geschichte erzählt, die Hanna zugleich fesselte und abstieß. Und zwischendurch hatte Audrey immer wieder abfällige Bemerkungen über Hannas Vater fallen gelassen.
So lange, bis Hanna sich nur noch wünschte, sie möge endlich verschwinden.
Und genau das hatte sie schließlich auch getan – wenn auch auf eine völlig andere Weise, als Hanna sich das vorgestellt hatte.
“Und wenn?”, entgegnete sie nun heftiger als beabsichtigt. “Ihr beiden mögt ja verdrängt haben, was vor fünfzehn Jahren passiert ist. Aber das gilt nicht für uns alle.”
“Von Verdrängen kann nicht die Rede sein.” Finja lächelte beruhigend. “Wir haben einfach nur unseren Frieden mit der Vergangenheit gemacht, das ist alles. Und ich finde, das solltest du auch tun. Es ist schon so lange her, und Audrey würde sicher nicht wollen, dass du ihretwegen
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