Paradies Pollensa
zuzuhören. Darüber hinaus machte es ihm auch Spaß, sich ein Urteil über sie zu bilden. Er nahm an, und war sich dessen fast sicher, dass beide junge Männer in Inez verliebt waren. Nun, das überraschte ihn nicht. Sie waren hierher gekommen, um bei ihrem Großvater zu leben. Ein schönes Mädchen, Rolands Cousine, lebt gleich nebenan. Mr Sattersway wandte den Kopf. Er konnte das Haus durch die Bäume hervorlugen sehen, unten an der Straße, gleich hinter dem Parktor. Im selben Haus wohnte Dr. Horton schon, als Mr Sattersway vor sieben oder acht Jahren hier gewesen war.
Er sah Inez an und fragte sich, welchen der beiden jungen Männer sie wohl bevorzugte oder ob sie ihre Zuneigung nicht bereits anderweitig verschenkt hatte. Es gab schließlich keinen Grund, weshalb sie sich gerade in einen dieser beiden attraktiven jungen Vertreter des männlichen Geschlechts verlieben sollte.
Nachdem er so viel gegessen hatte, wie er wollte – was nicht sehr viel war, schob er seinen Stuhl zurück und setzte sich so, dass er alles ringsum gut überblicken konnte.
Mrs Gilliatt war noch immer beschäftigt. Sie betont sehr die Rolle der Hausfrau, dachte er, und macht eigentlich mehr Wind darum, als nötig wäre. Dauernd bot sie den Leuten Kuchen an, nahm ihnen die Tassen ab und füllte sie neu oder reichte irgendwelche Dinge herum. Irgendwie, dachte er, wäre es angenehmer und nicht so förmlich, wenn sie die Leute sich selbst bedienen lassen würde. Eine weniger eifrige Gastgeberin wäre ihm lieber gewesen.
Dann schaute er hinüber zu Tom Addison, der in seinem Sessel ausgestreckt dalag. Tom beobachtete Beryl Gilliatt gleichfalls. Mr Sattersway dachte: Tom kann sie nicht leiden, nein, er schätzt sie nicht. Nun, das war vielleicht zu erwarten gewesen. Letzten Endes hatte sie den Platz seiner eigenen Tochter Lily eingenommen, Simon Gilliatts erster Frau. Meine wunderschöne Lily, dachte Mr Sattersway wieder und wunderte sich, dass er aus irgendeinem Grund das Gefühl hatte, dass, obwohl er niemanden sehen konnte, der ihr glich, Lily auf unerklärliche Weise da war. Sie war hier bei dieser Teestunde anwesend.
»Ich nehme an, man beginnt, sich solche Dinge einzubilden, wenn man alt wird«, sagte Mr Sattersway zu sich selbst. »Aber schließlich, warum sollte Lily nicht hier sein, um ihren Sohn zu sehen.« Dabei schaute er Timothy liebevoll an, bis ihm plötzlich einfiel, dass er ja gar nicht Lilys Sohn war. Roland war Lilys Sohn. Timothy war Beryls Sohn.
»Ich glaube, Lily weiß, dass ich hier bin. Ich glaube, sie würde sich gern mit mir unterhalten«, sagte sich Mr Sattersway wieder. »O mein Gott, ich darf nicht anfangen, mir alberne Sachen einzubilden!«
Aus einem unerklärlichen Grund blickte er wieder zur Vogelscheuche hinüber. Sie sah jetzt gar nicht mehr wie eine Vogelscheuche aus. Sie sah aus wie Mr Harley Quin. Irgendwelche Lichteffekte, hervorgerufen durch den Sonnenuntergang, überschütteten sie mit Farbe, und ein schwarzer Hund, der aussah wie Hermes, jagte hinter den Vögeln her.
»Farbe«, sagte Mr Sattersway und schaute wieder auf den Tisch, das Teeservice und die teetrinkenden Leute. »Warum bin ich hier, und was habe ich zu tun? Es gibt einen Grund…«
Er wusste nun genau, er fühlte es, dass irgendetwas im Anzug war, eine Krisis – irgendetwas, das entweder alle diese Leute betraf oder nur einige von ihnen. Beryl Gilliatt, Mrs Gilliatt. Sie schien über irgendetwas beunruhigt zu sein, hochgradig nervös. Tom? Nein, mit Tom war alles in Ordnung. Er war nicht betroffen. Ein glücklicher Mann, dieses Schatzkästlein zu besitzen, »Doverton«, glücklich auch, einen Enkel zu haben, Roland, der all dies erben würde, wenn er starb. Alles würde Roland gehören. Hoffte Tom, dass Roland Inez heiraten würde? Oder hatte er Bedenken gegen eine Ehe zwischen Cousin und Cousine? Obwohl doch in der Geschichte der Menschheit, dachte Mr Sattersway, immer wieder Brüder ihre Schwestern geheiratet hatten, mit keinem schlechten Ergebnis. Es darf nichts passieren, dachte Mr Sattersway, es darf nichts passieren! Ich muss es verhindern.
Also wirklich, seine Gedanken waren die eines Irren. Eine friedliche Szenerie. Ein Teeservice. Die unterschiedlichen Farben der Harlekintassen. Er schaute auf die weiße Meerschaumpfeife, die sich vom Rot der Tasse abhob. Beryl Gilliatt sagte irgend etwas zu Timothy. Timothy nickte, stand auf und ging zum Haus. Beryl räumte einige leere Teller ab, rückte ein oder zwei Stühle zurecht und
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