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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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Adamans Wohnung benommen wie der berühmte Elefant im Porzellanladen und sie waren um seine Leiche herumgetanzt wie die Hochzeitsgesellschaft um das Brautpaar. Sie hatten sogar an Adamans Leiche herumgezerrt, und wahrhaftig hatte die alte Frau Söhl trotz ihrer miserablen Gesundheit – schwerer Hüftschaden und Zuckerkrankheit mit Durchblutungsstörungen im rechten Fuß – mit Wasser und Feudel weitere mögliche Spuren vernichtet. Sie hatte das nicht etwa verschwiegen und abgestritten, sondern ganz naiv berichtet und damit begründet, dass es in der Wohnung »von dem armen Mann so zugestanden« habe, sie habe doch nur »’n büschen schier« gemacht und man habe ihn »doch nicht so liegen lassen können«, zunächst habe man ihn ja noch in die stabile Seitenlage bringen wollen, bis der Arzt käme. Und das, obwohl die Totenstarre längst eingesetzt hatte? Die Leute hatten an dem Toten so respektlos gewirtschaftet wie Professor Abronsius an dem Wirt Chagal, den die Vampire totgebissen hatten.

    Trotz aller Gründlichkeit der Söhls hatte die Polizei Cengis Fingerabdrücke an der Tür und besonders aber am Waschbecken gefunden – das die alte Frau Söhl übrigens nicht sauber gemacht hatte, denn sie hatte ihr eigenes Wischwasser im Feudeleimer mitgebracht – und als Zugabe einen sehr schönen Handflächen- und Daumenabdruck an der Herdstange, an der sich Cengi offenbar festgehalten hatte. Beide Abdrücke waren durchsetzt mit Adamans Blut und damit nicht genug: Cengis Blut fand sich auf den Kleidern des Toten. Also doch Spuren genug, jedenfalls was Heyder Cengi betraf. Der Fall Helmcke lag noch nicht lange zurück, eine Querverbindung war schnell hergestellt, die Spuren konnten dem Täter Açikgöz zugeordnet werden, das war der Name, unter dem Cengi untergetaucht war. Man hatte den Söhls das Foto aus dem Album Heribert Witts gezeigt, sie hatten Açikgöz alias Cengi wiedererkannt als den Mann, der vorübergehend bei Adaman gewohnt hatte. Die Sache war klar.
    Die Tatwaffe hatte man allerdings nicht gefunden. Und auch kein Motiv.
    Während Schlüter las, öffnete sich die Tür und Angela legte ihm die Abschrift von Adamans Brief auf den Schreibtisch.

    Das Verhalten der Söhls war nicht nur merkwürdig, sondern höchst verdächtig. Konnte man eine derartige Naivität für sich in Anspruch nehmen? Nur ein Täter hatte ein Interesse an der Beseitigung der Spuren und es war merkwürdig genug, dass die Polizei die Söhls nicht gleich als Beschuldigte geführt hatte. Zumal dann doch die entscheidenden Spuren auf Cengi wiesen und bei der Reinigungsaktion ausgespart worden waren.
    Ein Alibi hatten die drei Söhls nicht. Sie waren angeblich zu Hause gewesen und hatten vor dem Fernseher gesessen – wo sonst konnte eine deutsche Familie abends, dazu noch freitagabends, sitzen? Der Apparat war wegen der Schwerhörigkeit der Mutter laut aufgedreht, das söhlsche Wohnzimmer lag auf der anderen Seite des Hauses. Insofern hatte man ihnen geglaubt, dass sie nichts von dem Lärm mitbekommen hatten, den der Kampf zwischen Adaman und seinem Mörder wahrscheinlich gemacht hatte.
    Schlüter las den Namen unter dem Ermittlungsbericht: Polizeikommissar Staschinsky, Bremervörde. Schlüter wählte die Nummer des Polizeikommissariats und ließ sich mit Staschinsky verbinden.
    »Schlüter hier. Rechtsanwalt in Hemmstedt.«
    Staschinsky brummelte.
    »Sie ermitteln in Sachen Cengi, wie ich lese?«
    »Ich habe ermittelt. Wir sind fertig. Und Sie sind nicht mehr sein Verteidiger, wie ich hörte?«
    Schlagfertig war der Bursche.
    Schlüter berichtete von seinem Besuch bei der Witwe des Veli Adaman. Und von dem Blatt Papier, das er von dort mitgebracht hatte. »Soll ich Ihnen den Text mal vorlesen?«
    »Schießen Sie los!«
    Schlüter zog sich das Papier heran, räusperte sich und begann zu lesen:

     
    31. Januar 1995

    Sehr geehrter Herr Schlüter,

    ich will Ihnen berichten und Sie bitten, dass Sie tun, was Sie für richtig halten, weil ich nicht weiß, wie lange ich noch hier bin.

    Am 20. September im letzten Jahr war eine junge Frau hier, schon das dritte oder vierte Mal, sie will unbedingt ein Pferd von Werner Söhl kaufen, aber die beiden können sich über den Preis nicht einigen. Ich habe Äpfel gepflückt, auf der Leiter habe ich gestanden, und plötzlich höre ich die Schreie der Frau. Ich steige so schnell von der Leiter herunter, wie ich kann, und laufe dahin, woher die Schreie kommen.

    Ich mag es nicht schreiben, was er ihr getan

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