Paragraf 301
antwortete Adaman. Dann lächelte er höflich und fügte hinzu: »Setzt euch. Nehmt euch die Stühle dort. Tee?« Mit diesen Worten war er ins Türkische gewechselt.
Ohne die Antwort abzuwarten, wandte sich Adaman zur Anrichte, um drei neue Gläser zu holen; dabei legte er mit einer unauffälligen Bewegung das Bildnis des Hacı Bektas Veli auf den Bauch, als würde es ihn stören. Dann schürte er das Feuer und legte kleine Scheite nach. Der Wortführer hatte sich rittlings auf Adamans Stuhl gesetzt und kreuzte die kurzen Unterarme über der Lehne. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn und seine Bartstoppeln schimmerten bläulich im Licht der Lampe.
Adaman servierte den Tee.
»Wir kommen, um deinen Beitrag zu holen«, sagte der Besucher endlich, nachdem er das Glas gehoben und den ersten Schluck genommen hatte, mit einer Stimme, die so rau war, als hätte er Sägespäne in der Kehle.
Adaman zog die Augenbrauen hoch und tat, als verstehe er nicht. »Beitrag?«
»Für unsere kurdische Sache«, antwortete der Kleine. »Du weißt. Du hast noch nichts gegeben.«
»Ich habe kein Geld«, zuckte Adaman mit den Schultern.
»Das hast du das letzte Mal auch gesagt«, erwiderte der Besucher. »Du gibst uns, sagen wir, zweitausend Mark pro Jahr. Und heute fünfhundert. Du arbeitest, du verdienst.«
»Ich muss meine Familie ernähren«, schüttelte Adaman den Kopf. »Ich kann dir nichts geben. Außerdem unterstütze ich Murat. Er hat keine Arbeit.«
»Ich habe ihn noch nie gesehen. Woher kommt er?«, fragte er Adaman, als könnte Cengi nicht für sich sprechen.
»Aus Çakperi«, antwortete Cengi und sprach den alten Namen aus, bevor Adaman antworten konnte. »Heute nennen sie den Ort Gisney Konak Köyü.«
»Wo ist das denn?«, fragte der Besucher, jetzt direkt an Cengi gerichtet.
»Nicht weit von Pulur«, antwortete Cengi. »Jetzt nennen sie den Ort Ovacık.«
»Ovacık?«, fragte der Besucher. »Ovacıks gibt’s mehrere. Ich kenne eines, südlich von Siverek.«
Adaman schüttelte den Kopf. »Wir meinen das im Dersim«, erklärte er. »Du weißt, die Gegend, aus der ich stamme.«
»Ach so, aus dem Tunceli also«, nickte der Wortführer und rieb sich nachdenklich den knisternden Bart. »Wie du weißt, sind wir noch einmal gekommen, damit du Geld geben kannst für den Kampf gegen Unterdrückung und Entrechtung.«
»Höre, Esat«, schüttelte Adaman den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ihr unseren Leuten helft mit dem, was ihr tut. Wir wissen, was das Militär in unseren Dörfern anrichtet. Überall, wo einer von euch auftaucht, da verbrennen die Soldaten unsere Häuser und vertreiben uns. Ja, der Verdacht, einer von euch sei da gewesen, reicht schon aus dafür. Hunderte Dörfer, Tausende Häuser sind im letzten Jahr vernichtet worden! Unsere Leute leben in Zelten, ihre Felder sind zerstört, sie haben nichts, wovon sie leben können. Und sie dürfen neuerdings keine Lebensmittel auf Vorrat mehr kaufen, weil es heißt, sie würden sie der PKK geben. An jeder Brücke, in jedem Dorf hat die Armee ihre Kontrollposten und schnürt den Leuten die Luft zum Atmen ab! Meint ihr wirklich, ihr würdet uns helfen? Und die PKK verbrennt die Schulen und entführt die Lehrer! Und das soll uns helfen?«
Adaman hatte leise, aber bestimmt gesprochen und Esat suchte in den Gesichtern seiner Freunde nach Hilfe, aber sie tranken nur ihren Tee und der mit den glühenden Augen sah Adaman drohend an.
»Die Lehrer büßen dafür, dass sie die Kinder Türkisch lehren«, widersprach Esat. »Das ist gerecht. Denn Kurdisch ist unsere Sprache. Und Kurdisch sollen sie in den Schulen lernen. Sie sollen nicht die Sprache der Unterdrücker lernen, das wirst du wohl begreifen. Und du kannst unsere Leute nicht für die Taten der Armee verantwortlich machen!«
Adaman schüttelte den Kopf. »Damit die Kinder nicht lesen und schreiben lernen und die Eltern mit ihnen fortgehen müssen! Bald werden alle fort sein! Kannst du mir erklären, was wir von eurem Krieg haben sollen?«
»Hör auf damit, Veli«, sagte Esat. »Es ist nicht unser Krieg. Es ist der Krieg der Nationalisten!«
»Ach, Esat«, sagte Adaman müde. »Und wenn ihr gewinnt? Die Türken wollen einen Staat, in dem es nur Türken gibt, und ihr wollt einen Staat, in dem es nur Kurden gibt. Und wir?«
Esat sah Adaman verständnislos an. »Wieso fragst du?«, sagte er. »Ich verstehe dich nicht!«
»Du sprichst nicht für das Volk der Zaza, Esat«, stellte Adaman fest. »Und schon gar nicht
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