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Paragraf 301

Paragraf 301

Titel: Paragraf 301 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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rauchte er eine zweite Pfeife, trank Mariacron aus der Flasche und konnte den frechen Kerl nicht aus dem Kopf kriegen, den er gerade verscheucht hatte. Was diese Kümmeltürken sich herausnahmen!
    Die Hofstelle befand sich auf dem letzten Zipfel schwarzer Marscherde, die dahinter ins braune Moor überging, am Ende eines langen Birkenweges nicht weit vom Torfwerk, und bestand aus einem bald zweihundert Jahre alten reetgedeckten Niedersachsenhaus, einem zehn Jahre alten Boxenlaufstall für fünfundvierzig Kühe, einem windschiefen Maschinenschuppen und diversen schwarzen Anbauten und Verlängerungen. Heinsohn wirtschaftete seit mehr als einem Jahr allein. Zuerst waren die beiden Töchter gegangen, nach der Schule, hatten dann geheiratet. Der Sohn hatte die landwirtschaftliche Lehre gemacht, davon zwei Jahre zu Hause und eines, das letzte, auf einem Hof in Dorum in der Nähe von Bremerhaven, fast zwei Stunden mit dem Auto bis dahin. Die Frau hatte immer gesagt, der Junge müsse mal vom Hof und was anderes sehen; dem hatte Heinsohn sich gefügt. Doch was hatte er jetzt davon? Flausen hatte der Sohn bekommen, weil er andere Verhältnisse gesehen hatte. Er hatte plötzlich behauptet, Melken sei nicht sein Ding, im Melken läge nicht die Zukunft der Landwirtschaft, auf absehbare Zeit würde die Milch nichts mehr kosten, sie müssten dann immer mehr Kühe haben, einen größeren Stall und einen größeren Melkstand und dafür noch mehr Schulden machen – und dazu habe er keine Lust. Und außerdem, jeden Tag das Einerlei mit den Kühen, davon würde man verblöden. Er wollte den Betrieb auf biologische Landwirtschaft umstellen und Mutterkühe halten, Galloways, widerstandsfähige Allwettertiere, die keinen Stall brauchten, sondern nur einen Unterstand.

    Seit der Sache mit dem kleinen Lars hatte Bauer Heinsohn aufgehört zu reden. Kein Mensch kann sprechen mit einem Kloß im Hals. Und den hatte Bauer Heinsohn tagaus, tagein, sogar nachts. Seit der Sache mit dem kleinen Lars konnte Bauer Heinsohn die Gegenwart seiner Frau nicht mehr ertragen, denn sie wollte ständig über die Sache reden, sie suchte die Nähe ihres Mannes, strich um ihn her wie eine hungrige Katze, die Würmer hat. Sie wurde ihm zuwider, nach all den Jahren. Bis sie endlich ging, auch sie, nach fast vierzig Jahren Ehe. Sollte sie doch fortbleiben, er wollte seine Ruhe und nicht mehr reden müssen.
    Nur der Sohn war geblieben. Er klebte am Vater, weil er am Hof klebte. Er wollte den Hof partout übernehmen. Jeden Tag drängelte er. Sie müssten die Übergabe endlich regeln, sagte er. Aber Bauer Heinsohn wollte den Hof nicht abgeben. Noch nicht. Sollte der Sohn erst mal zeigen, was er konnte. Und sich nicht so einfach ins gemachte Nest setzen. Und womöglich alles, was sein Vater und Großvater in Jahrzehnten aufgebaut hatten, durchbringen mit seinen Bioideen und den zottligen Rindern, Galloways oder wie die hießen. Wer hatte schon je davon gehört, dass einer von Mutterkühen leben konnte?
    Bauer Heinsohn hatte seinem Sohn angeboten, er könne den Hof pachten, für den Anfang. »Sagen wir, für drei Jahre und danach mit jährlicher Verlängerung.«
    So hatte schon der Großvater den Hof dem Vater übergeben: Da war er, Bauer Heinsohn, knapp vierzig gewesen und hatte zwanzig harte Probejahre hinter sich. Harte Zeiten hatten noch niemandem geschadet. Deshalb konnte Bauer Heinsohn den Hof seinem Sohn nicht mir nichts, dir nichts überschreiben. Außerdem würde er, der Vater, erst in drei Jahren die Bauernrente bekommen. Und umstellen auf Bio? Nur über seine Leiche.
    Das alles hatte Bauer Heinsohn seinem Sohn ganz klar gesagt. Der hatte ihm vorgeschlagen, in Frührente zu gehen. »Wegen dem Kreuz und wegen dem Fuß, Vater. Du solltest Berufsunfähigkeitsrente beantragen. Du kannst doch gar nicht mehr richtig.«
    Es hörte sich an wie: Du tickst doch gar nicht mehr richtig. So ein Quatsch! Vor zehn Jahren war Bauer Heinsohn durch die Heuluke vom Boden auf die Tenne gestürzt, auf Beton, es hatte im Rücken gekracht und der Fuß war gebrochen. Einer der vielen möglichen Bauerntode, den er fast gestorben wäre. Gerade nachdem der neue Boxenlaufstall fertig geworden war. Einen Tag war er im Krankenhaus gewesen, man hatte ihm einen Gips verpasst, und dann übernahm der Tierarzt die Behandlung. Seine Salben halfen den Menschen genauso gut wie den Tieren. Dass es morgens immer so zwei Stunden dauerte, bis man einigermaßen laufen konnte, daran konnte man sich schon

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