Parallelgeschichten
meinen.
Jetzt nicken Sie doch nicht dauernd zum Text, sondern singen Sie, sapperlot noch mal.
Sperren Sie gnädigst den Mund nicht so auf, das bringt nichts, das wird Ihnen nicht weiterhelfen.
Stimme, wie oft soll ich Ihnen das noch sagen, Stimme.
Ihre Grimassen möchte ich nicht sehen.
Noch einmal von vorn.
Das ist mir so was von wurscht, was du erzählst, ich scheiße auf euch alle.
Scheiße auf die Typen mit ihren schlaffen Schwänzen.
Ich möchte Ihre Stimme hören, Liebes, nicht Ihre Mimik sehen. Ihr kindisches Getrotze interessiert mich nicht. Mit Mimik holen Sie keinen Ton heraus, hysterisches Getue nützt nichts.
Jetzt sperren Sie doch den Mund nicht so auf, das ist hässlich und unnötig.
Gyöngyvér horchte auf den Nachhall dieses Tons, hob den Kopf, trocknete die Tränen und lauschte in die stumme Nacht hinaus. Ob sie aus dem überlaut widerhallenden Glaszylinder des Treppenhauses nicht etwa den heraufkommenden Lift hörte. Sie hörte ein Gepolter, im Laufschritt heraufsteigende Stiefel und schwere Schuhe, Gebrüll, Geklirre, wie wenn Fenster mit Salven eingeschossen werden.
Sie sah sich nach einem Fluchtweg um.
In jener Nacht des zweiten Weihnachtstags, als eine Gruppe von jungen Pfeilkreuzlern in dieses Haus eingefallen war und alle, so wie sie waren, auf die verschneite Straße hinausgetrieben hatte, war Frau Szemző mit ihren beiden Jungen schon lange weg gewesen. Alajos Madzar hatte damals sehr wenige Gegenstände im Raum platziert, mit Frau Szemző hatte er in Sachen Minimierung der Einrichtung leichtes Spiel gehabt. An den rustikal gespritzten Wänden hingen ganz schlichte Beleuchtungskörper mit Schirmen aus geätztem Glas und vernickelter Armatur. In diesem Raum hörte Gyöngyvér Mózes lauter Töne, die sie eigentlich nicht hören konnte.
Vielleicht hatte ihr Herz aus Angst so laut zu klopfen begonnen.
Jemand schrie, flehte im Treppenhaus, wenn Sie an irgendeinen Gott glauben, wenn Sie eine Seele haben, tun Sie es nicht.
Nicht, nicht, hallte es wider.
Wenigstens meiner alten Mutter könnten Sie sich erbarmen.
Erbarmen, hallte es wider, barmen, armen.
Dann wurde es still im Treppenhaus.
Wäre der Lift mit Frau Szemző gekommen, wäre Gyönygvér vom Flügel aufgestanden und durchs Badezimmer rasch ins Dienstbotenzimmer zurückgekehrt, das Madzar damals als Assistentenbüro eingerichtet hatte.
Es wäre nicht das erste Mal gewesen.
Die erbarmen sich aber nicht.
Als hörte sie einen einzigen schneidenden Schrei, dann wieder Geklirre und ein Stürzen. In ihrem Leben als Untermieterin hatte sie gelernt, durch die Geräusche hindurchzuhorchen, durch Korridore zu huschen, in fremdes Essen hineinzuessen, unbemerkt und geräuschlos das Eigentum fremder Leute zu benützen. Handtücher, die Watte der Dame des Hauses, ein paar Teeblätter, Suppenpulver, vom Brot etwas abbrechen, zwei Zigaretten aus dem Paket stibitzen, einen Schluck aus der Milchflasche nehmen. Ohne auf den Gegenständen eine Spur zu hinterlassen.
Hätte sie gewusst, dass sie in die Vergangenheit hineinhorchte, wäre sie vor Schreck erstarrt.
Auch das Parkett nicht knarren lassen.
Aber Frau Szemző kam nicht, und sie stand nicht vom Flügel auf.
Frau Szemző hatte gesagt, passen Sie auf, Gyöngyvér, Sie sollten eher, sagen wir, Monteverdi singen, seine süße, verlockende, entsetzliche Gorgone, ja genau, und sie hatte gefragt, ob Gyöngyvér ihn kenne.
Woher zum Geier sollte sie alles kennen. Was fragte die Frau Szemző so blöd.
Irmuschlein glaubt wohl, dass man für mich im Hühnerstall Monteverdi gespielt hat.
Madzar hatte damals sorgfältig einkalkuliert, wer in der psychoanalytischen Praxis seine Schritte wohin lenken würde, denn im Prinzip durften Frau Szemzős Patienten in diesem unangenehm widerhallenden, aber sehr hübschen Treppenhaus nicht aufeinandertreffen. Jedenfalls war das die Vorgabe, an die sich Madzar zu halten bemüht war, keine Zusammentreffen. Das Getrampel wurde stärker, während sie von Stockwerk zu Stockwerk, von Treppe zu Treppe näher kamen, sie polterten mit den Gewehrkolben gegen die dicken Eichenholztüren.
Man erstarrt zu Stein, wenn man in seine eigene Stimme hineinhorcht, Gyöngyvér, so viel ursprüngliche Kraft und Schrecklichkeit ist darin. Ihre Stimme ist nicht liebenswert, Gyöngyvér, erwarten Sie das nie, aber man wird Sie vergöttern, Ihre Stimme ist einmalig, das darf ich ruhig behaupten, einmalig.
Seien Sie mir nicht böse, wenn ich Ihnen solche Dinge sage, Sie
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