Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)
Touristenmetropole, sondern in einer anderen, ruhigen Stadt. Viele Grabstätten erinnern an kleine Häuser. Überall sieht man große Skulpturen von trauernden Frauen, Kindern und Engeln. Früher fühlte ich mich unwohl, alleine auf dem Friedhof zu sein; die ungewohnte Stille hat mir Angst gemacht. Doch seitdem mein Vater hier begraben ist, macht es mir nichts mehr aus. Im Gegenteil: Ich empfinde die Stille als sehr beruhigend. Das Grab meines Vaters befindet sich ziemlich weit vom Eingang entfernt. Der Grabstein ist groß und trägt eine lange Inschrift. Meine Mutter hat ein wundervolles Gedicht für ihn geschrieben und es in den Stein meißeln lassen. Ich bleibe einige Zeit davor stehen und denke an meinen Vater. Wenn er noch hier wäre, könnte er mir sicher helfen. Er wüsste bestimmt, was zu tun wäre. Ich konnte mich ihm anvertrauen, und er hatte immer eine Lösung parat, egal, um welches Problem es sich handelte. Daher vermisse ich ihn sehr. Besonders fehlen mir die Sonntage, an denen wir einfach nur in die Stadt gingen, um die vielen Touristen zu beobachten. Wir machten uns immer lustig über sie, weil sie ständig alles fotografieren mussten. Das Gewöhnlichste, was in jeder Stadt zu finden ist, wurde akribisch dokumentiert. Wir schlossen ständig Wetten ab, was als Nächstes fotografiert würde, etwa die nächste Mülltonne oder einfach nur der Boden. Ich gewann meistens. Bei dem Gedanken daran muss ich lächeln. Langsam kehre ich wieder zum Auto zurück.
Als ich losfahre, sehe ich aus Gewohnheit immer wieder in den Rückspiegel. Wie aus dem Nichts erscheint er wieder: Der schwarze Mercedes fährt erneut hinter mir her. Das ist nur Zufall, die unheimlichen Anzugtypen haben zufälligerweise dasselbe Ziel wie ich. Alles wird gut. Ach, was rede ich da! Seit einer halben Stunde fahre ich sinnlos durch die Gegend. Ich habe kein Ziel, die schon: mich! Ich biege in die nächste Straße rechts ab, dann schaue ich wieder in den Rückspiegel. Der schwarze Mercedes biegt auch ab – was für eine Überraschung! Ich wurde noch nie verfolgt, doch ich habe schon in Hunderten Actionfilmen gesehen, wie die Verfolger abgehängt werden. Mach es einfach wie im Film »The Transporter«, Eva, denke ich. Der hat schließlich ein Dutzend Polizeiautos abgehängt, dann schaffe ich doch einen harmlosen Mercedes! Ich biege erst links, dann schnell die nächste rechts ab und behalte den Rückspiegel im Auge. Wieder ist der schwarze Mercedes zu sehen. Verdammt! Das Klingeln im Ohr geht auch wieder los. Also fahre ich noch schneller und biege gleich zweimal nach rechts und einmal nach links ab. Jetzt bin ich auf dem »Grande raccordo anulare« und gebe Gas. Ich traue mich nicht recht, in den Rückspiegel zu schauen, tue das aber trotzdem.
Keiner da.
Gut.
Ich nehme die nächste Ausfahrt und bin nach einer gefühlten Ewigkeit – jedoch sind tatsächlich nur fünf Minuten vergangen – wieder in der Stadt. Das Klingeln hat wieder nachgelassen. Ich fahre noch eine halbe Stunde und biege immer wieder in eine andere Straße ab. Kein schwarzer Mercedes weit und breit. Also fahre ich in ein öffentliches Parkhaus und stelle mein Auto dort ab.
Kapitel 8
Marco steht auf dem Dach eines alten Hauses. Von da aus hat er einen guten Überblick über den gesamten Tatort. Er hört, wie Eva mit Giovanni streitet.
Der Heuchler will sie beschuldigen, fremdgegangen zu sein. Einfach unglaublich!, denkt er und schüttelt den Kopf. Er bemerkt 200 Meter weiter zwei Männer mit Sonnenbrille in einem schwarzen Mercedes. Sie beobachten Eva.
»Marco, was machst du da?«, fragt eine hohe Stimme hinter ihm.
Marco dreht sich um und erblickt eine zierliche, bleiche junge Frau.
»Meinen Job«, erwidert er. »Das siehst du doch, Calia.«
»Dein Job ist es nicht, Wächter zu belauschen. Du hast Wichtigeres zu tun«, mahnt ihn Calia und geht einen Schritt auf ihn zu.
»Mein Job ist es, Wächter zu überwachen, bis sie alle Gaben erhalten haben. Damit es nicht langweilig wird, höre ich einige Gespräche mit an. Das ist unterhaltsam, als würde ich eine Telenovela gucken. Solltest du auch mal versuchen.«
»Marco, es gibt da etwas, was du wissen solltest«, setzt Calia an.
»Wenn es hier um deine Haare geht … ich weiß, dass es nicht deine Naturhaarfarbe ist, doch wenn ich dir einen Rat geben darf: Nimm das nächste Mal Braun und vielleicht noch ein paar helle Strähnen dazu, das würde deine Augen betonen.«
Calia streicht sich über ihr glattes,
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