Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme
getötet worden.
»Sie wurde überfallen«, sagte Tolan.
»Aber der Täter wurde nie gefasst, oder? Und ich glaube, eine Zeitlang hat sich die Polizei ziemlich für Sie interessiert.«
»Nein, das war nicht so, es war nicht –«
Der Beißgummi wurde ihm in den Mund geschoben, der Gurt festgezurrt, der Schalter betätigt.
Ein drittes Mal schoss der Schmerz durch Tolan – der bisher härteste Stromschlag. Er krümmte sich und zitterte, mit gewölbtem Rücken und verkrampften Zehen. Er hatte das Gefühl, seine Knochen würden brechen und sein Kopf würde explodieren. Er wurde fast ohnmächtig, doch dann war es vorbei.
Die Übelkeit kehrte mit solcher Gewalt zurück, dass er würgen musste. Schnell nahm Vincent ihm den Beißgummi aus dem Mund und drehte seinen Kopf zur Seite. Tolan würgte lange Spuckefäden auf den Tisch. Er würde sterben. Ein weiterer Stromstoß, und er wäre tot.
Er spuckte noch einmal aus, versuchte, die Flüssigkeit aus dem Mund zu bekommen. Normalerweise müsste man Atropin verabreichen, um die Sekretion zu vermindern, doch nichts war an dieser Situation normal. Er fühlte sich wie einer der Ausreißer aus ›Einer flog über das Kuckucksnest‹.
»Aufhören«, krächzte er.
»Ich nehme also an, Sie wollen gestehen?«
Tolan antwortete nicht. Wenn er abstritt, Abby getötet zu haben, würde es genauso weitergehen.
»Stellen Sie meine Geduld nicht auf die Probe, Doktor.«
Tolan schwieg. Wusste Vincent etwas von ihm, das er selbst nicht sehen konnte oder wollte? Vielleicht verfügte Vincent über eine Art Killer-Radar, der ihm signalisierte, wenn er auf seinesgleichen traf.
Tolan konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob er Abby getötet hatte oder nicht. Er erinnerte sich einfach nicht. Doch machte das für Vincent einen Unterschied? Vincent wollte nur eins hören. Und alles war besser als das hier. Alles.
Abermals wollte Vincent ihm den Beißgummi in den Mund stecken, doch Tolan schüttelte den Kopf.
»Also gut«, sagte er. »Gut, ich gestehe. Wenn es das ist, was Sie hören wollen, dann gestehe ich.«
Die Stablampe war direkt auf seine Augen gerichtet. »Nicht sehr überzeugend, Doktor. Sagen Sie es!«
»Ich habe doch gerade –«
»Sagen Sie es, oder Ihr verfluchtes Gehirn wird gegrillt.«
Tolan schloss die Augen vor dem grellen Licht und versuchte, Luft zu holen. Dann, nach einer langen Pause, sagte er: »Ich habe meine Frau umgebracht. Ich habe Abby getötet. Wir hatten Streit in jener Nacht. Gott sei mir gnädig, ich habe sie umgebracht.«
Vincent beugte sich über ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Danke, Doktor.«
Ohne jegliche Vorwarnung stach er eine Nadel in Tolans Nacken, und abermals fiel er in den Kaninchenbau.
33
Im Sicherheitskäfig war Solomon an einen Stuhl geschnallt, der wiederum am Boden festgeschraubt war. Er wartete schon seit einer ganzen Weile und beobachtete, wie die Krankenschwestern und die Sicherheitsleute ihrer Arbeit nachgingen. Und er hörte zu, in der Hoffnung, etwas über Myra zu erfahren.
Als die Bullen ihn hier ablieferten, hatte einer von ihnen – der, der wütend geworden war und ihn geschlagen hatte – zu einem der Wachmänner gesagt: »Bei dem hier müssen Sie auf Ihren Arsch aufpassen.«
»Keine Sorge«, antwortete der Wachmann. »Wenn er auch nur irgendetwas versucht, hat er anstelle einer Hand nur noch einen blutigen Stumpf.«
»Es geht nicht um seine Hände.«
Die beiden witzelten noch ein bisschen herum, dann sagte der Wachmann: »Na ja, ich würde ihm ja androhen, dass ich ihm die Zähne ausschlage, aber wahrscheinlich hat er schon gar keine mehr.« Erneutes Gelächter. Nach diesem rührenden Beginn einer Männerfreundschaft verschwanden die Bullen, und Solomon fragte sich, was für Menschen es nur waren, die andere so behandelten. Gut, er selbst war auch kein Heiliger, doch er hatte sich immer bemüht, anderen Menschen Respekt zu zollen. Sogar den Bullen. Obwohl einer von ihnen Henry getötet hatte.
Solomon saß so, dass er sowohl die Türen der Eingangshalle im Auge behalten konnte, als auch den Weg, der zum Parkplatz führte.
Er beobachtete, wie die hübsche Krankenschwester immer wieder auf den Parkplatz hinausging. Sie suchte wohl jemanden. Ihr Namensschild war ihm aufgefallen, als die Bullen ihn hinter ihr her geschubst hatten. Doch er erinnerte sich nur an ihren Vornamen: Lisa. Sie war die Leiterin von irgendetwas. Eine Frau mit Verantwortung.
Im Moment allerdings schien sie ihre Verantwortung nicht vollständig
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