Parasiten
Am Wundrand des einen abgetrennten Fingers fand sie
einen winzigen Speichelrest, der nicht von Petersen stammt. Der Mörder hat wohl
gesabbert beim Abschneiden …«
»Wieso erfahre ich das erst jetzt?«, wetterte Christian. »Das ist
die beste Spur, die wir bislang haben! Hat sie den Speichel mit den DNA-Proben
verglichen, die wir aus der Haarbürste in Savchenkos Wohnung haben?«
»Logisch. Fehlanzeige. Der Speichel ist nicht von ihm.«
»Trotzdem kann er zur Tatzeit dort gewesen sein. Und am Mord
beteiligt. Das ganze Zimmer war übersät mit seinen Fingerabdrücken.«
»Er war der Liebhaber von Petersen. Natürlich sind seine Abdrücke im
Zimmer«, sagte Anna.
Christian dachte genau wie Anna darüber und hatte Danylo als Täter
vom Gefühl her schon aussortiert. Aber er verließ sich letztlich nicht auf
seine Gefühle, sondern nur auf Fakten. Er sah Daniel erwartungsvoll an. Der
machte ein Gesicht, als würde er gleich eine Bombe platzen lassen. Tat er auch.
»Karen hat die DNA in unserer Datenbank gefunden. Erinnert ihr euch
an Fjodor Mnatsakanov, genannt Joe?«
Anna erbleichte. Nur zu gut erinnerte sie sich an ihn. Der russische
Auftragskiller hatte sie hier in ihrer Küche vor einigen Jahren überfallen und
gefoltert.
»Seine DNA war an Petersens Leiche«, verkündete Daniel.
Anna schaute auf eine bestimmte Stelle am Küchenboden. Genau dort
hatte Fjodor Mnatsakanov gelegen. Und ein Teil seiner Gehirnmasse auch. Neben
ihm.
»Der Kerl ist tot. Wir haben seine Überreste zusammengekratzt, hier
in dieser Küche, das weißt du genau!«, sagte Christian zu Daniel.
»Deswegen war Karen ja auch so irritiert und hat alles drei Mal
überprüft, bevor sie dir damit auf den Wecker ging.«
»Und des Rätsels Lösung ist?« Christian stand auf dem Schlauch, und
das ärgerte ihn.
»Er hat einen Bruder«, flüsterte Anna.
»Genau das haben meine Recherchen in den Abgründen des weltweiten
Netzes ergeben. Ich habe unendlich tief gegraben, und zwar an Orten, zu denen
Normalsterbliche keinen Zugang haben. Nur Monster, Götter und Halbgötter. Um es
zusammenzufassen: Ich bin der Größte, aber das wisst ihr ja. Scherzten wir
nicht kürzlich über diesen Baltenboss, der durch Einheirat in andere Syndikate
den dynastischen Gedanken aufrechterhält? Nun ja, die Mnatsakanovs halten auch
viel von Familientradition. Es sind zwei Brüder, tätig in derselben Branche.
Derjenige, der noch lebt, wird Antoschka genannt, der kleine Anton. Als Fjodor
hier den Abgang gemacht hat, war Antoschka gerade mal 15 Jahre alt und hat in
Moskau mit Kalaschnikows aus Plastik gespielt. Jetzt ist er fünf Jahre älter
und ein Profi. Die Vorliebe fürs Fingerabschneiden liegt wohl auch in der
Familie.«
Anna zitterte ein wenig, die Erinnerung an ihre Qualen nahm sie
sichtlich mit. Zur Ablenkung räumte sie den Tisch ab.
»Pete hat die Fahndung schon rausgegeben«, schloss Daniel seinen
Bericht.
»Gute Arbeit«, sagte Christian. »Aber vermutlich ist es schwer, an
diesen Antoschka ranzukommen. Die Kerle sind wie Geister. Tauchen auf, töten
und verschwinden wieder.«
»Von Russland nach Polen oder ins Baltikum, und schwupps sind sie
dank Schengener Abkommen ohne Personenkontrollen in Deutschland. Und wieder
zurück.«
»Ein guter Hinweis«, meinte Christian. »Frag doch bitte mal beim SIS
nach, ob sie etwas über unseren Antoschka haben.«
»Was ist der, die oder das SIS?«, fragte Anna. Alles, was sie von
ihren Erinnerungen ablenkte, kam ihr gerade recht.
»Das Schengener Informationssystem«, erklärte Daniel. »Eine
nicht-öffentliche Datenbank über Personen, die zur Fahndung, mit einer
Einreisesperre oder als vermisst ausgeschrieben sind.«
»Wer vermisst denn so ein Arschloch?«, murmelte Anna.
Daniel grinste nur und wandte sich an Christian: »SIS hab ich längst
gecheckt. Also nicht in Form einer offiziellen Anfrage, das dauert mir zu lang …«
Christian winkte ab: »Ich will’s gar nicht wissen. Nur das Ergebnis.«
»Antoschka Mnatsakanov wird per Phantombild gesucht in Schweden,
Norwegen, Österreich, Frankreich, Spanien, Portugal und nun bei uns. Wegen
mehrfachen Mordes, schwerer Körperverletzung und anderen Lustigkeiten. Fotos
gibt’s nicht, auch da arbeitet Familie Mnatsakanov äußerst professionell.
Selbst das Passfoto im russischen Ausweis zeigt vermutlich jemand anderen,
zumindest gehen die Kollegen der SIS davon aus. Ich schätze, er reist mit jeder
Menge falscher Pässe. Ein aktiver Junge, der sich in fast
Weitere Kostenlose Bücher