Parasiten
allen
Mitgliedsländern des Abkommens verdient macht. Vermutlich auch in einigen
anderen Ländern, zu denen wir keinen Datenzugang haben. Zumindest keinen
offiziellen.«
»Für wen arbeitet er?«
»Freischaffend. Wie sein Bruder. Keinen Schimmer, wie man ihn
kontaktet. Dazu reichen meine Verbindungen im Netz leider nicht aus.«
»Toll«, sagte Christian trocken. »Dann suchen wir jetzt einen kleinen
Anton, den Schweden, Österreich, Frankreich, Spanien und Portugal noch nicht
gefunden haben. Ein Spaziergang.«
»Norwegen«, sagte Anna. »Du hast Norwegen vergessen.«
Anscheinend hatte sie ihren Humor wiedergefunden.
Chişinău.
Sofia kam gegen dreiundzwanzig Uhr zu der Adresse, zu der
Vadim sie bestellt hatte. Sie suchte eine Bar, stand jedoch vor einer ganz
normalen Haustür mit einem unbeschrifteten Klingelschild. Sie klingelte. Ein
Mann von der Statur eines ausgewachsenen Grizzly-Bären öffnete ihr. Sein breites
Gesicht war vollkommen vernarbt, seine Pranken über und über tätowiert. »Ich
will zu Vadim Zaharia«, sagte Sofia.
Ohne ihr eine Antwort zu geben, schlug er ihr die Tür vor der Nase
zu. Unschlüssig blieb Sofia vor der Tür stehen, bis diese plötzlich wieder
aufging, und eine hübsche Frau in Sofias Alter stand vor ihr: »Du willst zu
Vadim?«
Sofia nickte.
»Bist du seine Cousine?«
Sofia nickte wieder.
Die Frau lächelte sie an und öffnete die Tür so weit, dass Sofia
eintreten konnte. Vorbei am Grizzly folgte sie der Frau durch einen sehr
schmalen, langen und dunklen Gang eine Treppe nach unten, bis sich nach zwei
Ecken plötzlich ein großer Raum auftat. Sofia war überrascht. Der Raum war
sauber, gut erleuchtet und eingerichtet wie eine schick gestylte westliche Bar.
Attraktive junge Frauen bedienten hinter dem langen Tresen und an den Tischen,
es lief Lounge-Musik. Auf den Tischen standen Schalen mit bunten Bonbons und
ebenso bunten Kondomen. Die hauptsächlich männlichen Besucher waren
überdurchschnittlich gut gekleidet. Die Frau brachte Sofia zu einem Tisch, an
dem drei junge Männer saßen.
Sofia hätte ihren Cousin fast nicht wiedererkannt. Es war mindestens
vier Jahre her, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte. Damals trug Vadim
Jogginghosen und Basecap und hatte auf sie wie ein schmieriger
Möchtegern-Gangster mit Drogenproblemen gewirkt. Nun saß er vor ihr in einem
gut geschnittenen Anzug, gepflegt bis in die Haarspitzen. Als er aufstand und
sie mit einer distanzierten Umarmung begrüßte, fiel ihr sein Rasierwasser auf.
Es roch nicht billig. Er bot ihr Platz an und schickte seine Freunde mit einer
Handbewegung weg, ohne sie Sofia vorzustellen. Die Frau, die Sofia nach unten
geleitet hatte, goss ihr ein Glas Champagner ein und zog sich dann ebenfalls
zurück.
»Gut siehst du aus.« Sofia wusste nicht so recht, wie sie anfangen
sollte.
»Du siehst scheiße aus, Cousinchen.« Vadim grinste. »Hat dich dein
Professor blaugeprügelt, weil du ’ne falsche Note gegriffen hast?«
»Ein Fahrradunfall.«
»Schon klar. Du solltest zu Fuß gehen.« Vadim hatte beide Arme über
der Sofalehne ausgebreitet und verströmte Selbstbewusstsein. Sicher war es ihm
ein Fest, einem Teil der Familie, die ihn verstoßen hatte, seinen neu
gewonnenen Status zu demonstrieren.
Sofia wusste zwar nicht, in welcher Branche genau sich Vadim diesen
Status erarbeitet hatte, aber dass die hier anwesenden Männer ihre Anzüge und
teuren Uhren nicht mit ehrlicher Arbeit erwirtschafteten, war ihr klar.
Deswegen war sie hier.
»Was bereitet mir die unerwartete Ehre? Du willst doch sicher nicht
einfach nur mal nach der Verwandtschaft sehen?«
Sofia entschloss sich, nicht um den heißen Brei zu reden und mit
offenen Karten zu spielen. »Wir brauchen deine Hilfe.«
»Wer ist ›wir‹?«
»Meine Mutter, mein Vater und ich.«
Vadim sah sie ruhig an. »Als Kind war ich oft bei euch. Deine Mutter
hat immer Blaubeerkuchen gebacken. Scheiße, was hab ich den geliebt, den
Blaubeerkuchen.« Vadim schwieg eine Weile. »Erinnerst du dich an das letzte
Familienfest, auf dem wir uns begegnet sind?«
Sofia nickte. Es war die Beerdigung ihrer Oma gewesen. Vadims Vater,
also Sofias Onkel, war der Kragen geplatzt, als Vadim wie ein Gangsta-Rapper in
Jogginghosen und Kapuzenshirt auf der Trauerfeier auftauchte. Ein Wort hatte
das andere ergeben, der erbitterte Streit führte schließlich zu Vadims
Familienausschluss.
»Deine Mutter hat damals versucht, mir gegen meinen Vater zu helfen.
Wie ’ne scheiß Tigerin
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