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Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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naturgemäß blöd und beneidete
Vadim darum, nicht mehr auf die öden Feste zu müssen, auf denen einige Tanten
und Onkel die alten, ihr damals überaus peinlichen Trachten trugen. Erst jetzt
begriff sie, wie sehr Vadim den Familienverbund vermisste. Und ganz sicher war
auch, dass Vadims Vater mit der Verstoßung seines Jüngsten keine erzieherische
Wirkung erzielte, sondern ihn gänzlich in ein kriminelles Umfeld getrieben hatte.
Wovon sie jetzt zu profitieren hofften.
    Während Vadim fast andächtig das riesige Stück Blaubeerkuchen
anschaute, das Ileana auf seinen Teller lud, bat er Tante, Onkel und Sofia,
seinem Vater nichts von dem Treffen zu sagen. Er wollte jeglichen
innerfamiliären Konflikt vermeiden. Sie versprachen es ihm.
    »Außerdem dürft ihr mich nicht überschätzen. Vielleicht haltet ihr
mich für einen großen Gangsterboss. Das bin ich nicht. Ich bin nur ein
unbedeutendes kleines Rädchen im Getriebe, mache Botengänge für den Boss und
erschrecke hin und wieder säumige Zahler …«
    »Mein Junge, du musst hier weder beichten noch dich rechtfertigen«,
unterbrach Radu ihn ruhig. »Du musst wissen, was du tust. Wir urteilen nicht
darüber, wir wollen deine Hilfe. Soweit du uns eben helfen kannst.«
    Vadim nickte langsam. »Ich habe leider keine guten Nachrichten.«
    Ileana griff sich mit der Hand ans Herz und hielt die Luft an.
    »Ich weiß nicht, inwieweit ihr über gewisse … wie soll ich sagen …
Geschäftszweige in diesem Land informiert seid …«
    »Rede bitte ganz offen mit uns«, bat Radu.
    Vadim warf Sofia einen Blick zu. Als sie heute Morgen telefoniert
hatten, waren sie übereingekommen, Sofias Eltern nichts von den Ereignissen in
Hamburg und Bremen zu sagen, um sie nicht noch mehr zu ängstigen. Schließlich
stand noch nicht fest, ob Alinas Verschwinden überhaupt etwas damit zu tun
hatte.
    »Die wirtschaftlich desolate Situation in unserem Land führt dazu,
dass viele junge Leute nach Westeuropa wollen …«, begann er vorsichtig.
    »Das hat uns der Polizist auch schon erklärt. Aber Alina wollte
nicht weg!«, donnerte Radu. Jetzt merkte man auch ihm die Anspannung an.
    »Ich will euch nur sagen, dass gewisse Kreise diesen Wunsch, vor
allem den von jungen Frauen, ausnutzen, um …« Vadim brach ab.
    Sofia erbleichte: »Du willst doch damit nicht sagen, dass Alina
einer Schlepperbande ins Netz gegangen ist?«
    »Wieso Schlepper? Alina hätte sich doch nie auf so was eingelassen!«
Ileana verstand nicht, wovon Vadim redete.
    »Mama, Vadim meint keine Schlepper, die man bezahlt, damit sie einem
falsche Papiere verschaffen und ein Visum!« Sofia konnte nur mühsam ihre Panik
unterdrücken.
    »Aber was …?«, stotterte Ileana. Radus Miene verfinsterte sich, er
ahnte, worum es ging.
    »Mädchenhändler, Mama!« Sie sah Vadim mit aufgerissenen Augen an.
Ihre Stimme überschlug sich fast: »Du meinst Mädchenhändler, nicht wahr?«
    Vadim nickte stumm.
    »Was für Mädchenhändler?«, fragte Ileana, als wollte sie einfach
nicht begreifen.
    Sofia wurde wütend auf ihre begriffsstutzige Mutter. Wo lebte die
Frau eigentlich? »Weißt du nicht, was hier los ist? Alina hat mir mal am
Telefon gesagt, wie es hier unter den jungen Leuten heißt: Wer geht, der kann
verlieren, wer bleibt, der hat schon verloren. Weißt du das nicht, Mama? Ihr
habt doch selbst kaum was zu fressen! Die Blaubeeren für den scheiß Kuchen
hier, die kosten euch das Brot der nächsten Woche!«
    »Sag bitte so was nicht«, bat Ileana. Es war ihr peinlich vor dem
Gast.
    Doch Sofia war in Fahrt: »Die Menschen hier sind so arm, dass sie
das Letzte, was sie noch haben, verkaufen, um ihr Elend zu mildern. Hier in
Chişinău wurde Menschenfleisch als
Hundefutter verkauft! Obdachlose verkaufen Klinikabfälle, Männer ihre Nieren,
Eltern ihre Kinder, Frauen ihre Körper! Und ihr irrt euch! Alina wollte hier
weg! Sie hat mich schon mehrfach gefragt, ob sie nicht zu mir nach Deutschland
kommen kann!«
    »Aber Alina ist doch keine … Sie kann doch zu dir gehen, wenn sie
unbedingt will. Sie muss doch nicht …« Ileana wollte das Wort nicht einmal in
den Mund nehmen. Sie begann zu weinen. Radu nahm sie in den Arm und sah Vadim
an: »Was weißt du?«
    »In der Nacht, als Alina verschwand, ging eine Ladung raus. Etwa
fünfzehn Mädchen, so genau weiß ich das nicht. Sie haben in allen Städten
eingesammelt. Ein paar sind aus Cahul, Comrat und Tighina, die meisten aber aus
Chişinău.«
    »Wovon redet ihr?« Ileana zitterte am

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