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Paravion

Paravion

Titel: Paravion
Autoren: bouazza
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stieg Dampf auf. Und in allen Ecken erklang das Geschrei der Händler.
    Am Ende der Passage, auf dem Platz mit der Palme in der Mitte, saßen die Schreiber an Tischchen, auf denen rote Schreibmaschinen standen. Die Frauen holten den Brief hervor und gingen, eine kleine Prozession bildend, die jüngste vorneweg, auf die Schreiber zu. Dann blieben sie einen Augenblick stehen, um sich zu beraten, für welchen sie sich entscheiden sollten. Für den schönsten natürlich, doch waren ihre Geschmäcker verschieden. Die Zeigefinger an die Unterlippen gepreßt, eine Geste tiefen Nachdenkens, unterhielten sie sich über die Männer und betrachteten einen nach dem anderen.

    Der älteste, der Zeichen von Vitiligo aufwies, obwohl es auch sein konnte, daß sich das Grauwerden bei ihm einfach nicht nur auf das Haar beschränkte, schied sofort aus. Seine Haut war mit Mondflecken bedeckt, Spuren verlorengegangenen Pigments. Ein anderer, der mit verknoteten Händen und kreiselnden Daumen über dem runden Bauch hinter seinem Tischchen döste, den Hut ins Gesicht gezogen, sah geheimnisvoll aus. Plötzlich schreckte er hoch, schob den Hut nach hinten; er hatte obszön dicke Augenbrauen, die er fragend hob. Er räkelte sich und zwinkerte den Frauen zu, doch die kehrten ihm den Rücken zu.
    Ein dritter Mann, mit Sonnenbrille und Turban, der sich ihm wie ein Fahrradschlauch um den Kopf schlang, ohne die Kopfmitte zu bedecken, spielte mit einer weißen Maus. Sehr unhygienisch. Und als wäre das noch nicht genug, rief er ihnen noch zu: »Kommt zu mir, meine Damen, ich werde eure Enveloppen schon aufmachen!« Alles lachte. Die Frauen schnoben stolz durch ihre pferdigen Nüstern. Die älteste entschleierte ihr Gesicht, und was sie offenbarte, ließ die Männer sofort verstummen und schamvoll die Blicke senken.
    Da entdeckten sie ihn. Abseits von den anderen sitzend, tauchte er mit einemmal im grünbraunen Schatten der Palme auf. Vor ihm auf dem Tisch lag eine ordentlich zusammengefaltete Zeitung und ein Päckchen Zigaretten. Die schwankenden Palmblätter kleckerten ab und zu etwas Licht über sein hübsches Gesicht, das von einem Schwall Locken umrahmt wurde, als wären es Rabenfedern. Samt und Leben lagen in seinem Augenaufschlag, über den sich sogleich die Wimpern fächerten. Er war ganz in Schwarz gekleidet, ein Herr aus der Unterwelt oder ein Verbannter vom grünen Himmel – schwer zu sagen. Der Wind bewegte seine Haarschnörkel mit den flinken Fingern eines Friseurs. Eine einsame Locke baumelte über den Falten der nachdenklich verdüsterten Stirn. Es ging ein Traum von ihm aus, dessen dunstige Vision jedoch keiner deuten konnte.
    Perfekt.
    Die Frauen küßten ihre aneinandergepreßten Fingerspitzen.
    Und ein weiterer Glücksfall: Hinter ihm verkaufte ein älterer Mann, bekleidet mit einem Arbeitskittel und rotem Halstuch, glasierte Äpfel. Die glänzenden Früchte hingen an den blättrigen Zweigen eines dünnen Baumstamms, den er gegen die Schulter gelehnt mit beiden Händen festhielt. Sie sahen frisch aus, am Morgen gepflückt, wie er den Frauen später sagte.
    Die jüngste wurde nach vorn vorgeschubst, um das Wort zu führen, und sie ließ es mit gespielter Widerwilligkeit geschehen. Dann setzte sie sich mit ihrem besten Hüftschwung, präzise einen hennaverzierten Fuß vor den anderen plazierend, in Bewegung, ein sinnlicher Ritualtanz von Spann und Zehen in hübschen Sandälchen. Unter dem zierlichen Bogen ihrer Fußsohle hätte eine sich räkelnde Katze Platz gehabt. Sie ließ sich ihm gegenüber auf einem Stuhl nieder, auf dem ein altes Stück Sämischleder lag: Ganz langsam sanken ihre eigensinnigen Pobacken auf die braune Schafshaut herab, der schlanke Rücken folgte in einer schwungvollen Bewegung, eine elegante Phiole. Der Mann selbst saß auf einem zusammengelegten Teppich.
    Schweigend, aber mit geschwätzigen Augen übergab sie ihm den Brief. Die Wimpern schienen ihrem heißen Blick Kühle zuzuwedeln. Mit einem Nicken nahm er den Brief in Empfang und öffnete den Umschlag. Der Wind spielte ein Glissando zwischen den beiden, und ihr Schleier antwortete mit einem Glissando der durchsichtigen Falten. Die Genossinnen standen direkt hinter ihr, und doch in einer gänzlich anderen Welt.
    Alles geschah langsam: Wie seine Finger sich bewegten – ein roter Stein funkelte an seinem Ringfinger –, wie das Papier flatterte, wie sie atmete, die blinzelnden Augen, der Sonnenkronleuchter in der Palme: träger konnte keine Seeanemone
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