Paravion
unberechenbar, man konnte sie kaum allein lassen, egal, was die verkaufstüchtigen Teppichhändler behaupteten. Es war mit ziemlicher Sicherheit ein Nevernym.
Eine kleinere Menschenmenge hatte sich um einen Zauberkünstler geschart, der gerade ein neues Kapitel seines Auftritts eröffnete. Er bat um einen Freiwilligen. Ein großer Schwarzer in gelbem Rollkragenpulli und verschossener Cordhose, die, obwohl von einem Stück Seil gehalten, von seinen Hüften zu rutschen drohte, trat vor.
Mit einer machtvollen Geste rang der Zauberkünstler den Zuschauern Aufmerksamkeit ab: »Aus dem Hintern dieses Mannes«, so sprach er geheimnisvoll, »werde ich gleich eine Frucht hervorzaubern. Na, worauf hättest du Lust?«
Der Freiwillige überlegte einen Augenblick, lächelte eine Mondsichel und antwortete: »Auf eine Banane!«
Der Zauberkünstler bat ihn, die Antwort laut zu wiederholen, und nachdem er gehorcht hatte, brüllte der Zauberer ins Publikum: »Hört, hört, dieser Herr will eine Banane!« und brach in gellendes Gelächter aus. Das Publikum stimmte ein.
»Als ob deine Fresse eine Banane wert wäre!« Verächtlich sah er den Freiwilligen an, der verstört schluckte. »Weißt du, was du von mir kriegen kannst? Eine getrocknete Feige.« Darauf zog der Zauberer eine solche aus der hinterwärtigen Hosennaht des Freiwilligen, auf dessen Stirn die Sonne den Flügel einer Elster offenbarte: Sie schimmerte magisch blau. Die ihm angebotene Feige wies er jedoch zurück, schließlich wußte er, wo sie herkam, und reihte sich wieder ins Publikum ein, das laut applaudierte. Tsss, dachte der Zauberer noch und schüttelte den Kopf, hat man so was schon… eine Banane!
Er griff nach seinem Bettlernapf, um die Runde damit zu machen, doch das Publikum war, na klar, wie durch Zauberhand verschwunden.
Eine fröhliche Gruppe aus sieben Frauen ging kichernd am Geschichtenerzähler vorbei in den Basar.
»… im Hintergrund zählte der Kuckuck eine Ewigkeit von Stunden auf, die Grillen zirpten, und süß drang in seine Ohren das Läuten von Ziegenglöckchen. Wie soll ich, meine Herren, das Mädchen beschreiben, welches er da gewahrte…«
Im Basar war das Schauspiel nicht weniger bunt als das Warenangebot. Links gingen die Frauen zum Badehaus, rechts die Männer Richtung Grillbuden, wo der Duft von Lamm und Koriander aufstieg, appetitanregend, egal, ob man satt war oder nicht. Ein Bündel Lanzenschäfte aus getrübtem Sonnenlicht wies den Weg zur Kasbah, wo Gewürzpyramiden die Nasen der Passanten reizten und zum Niesen brachten: das Samtrot von Paprikapulver, das Schwarz gemahlenen Pfeffers, Pfefferkörner wie Kaviar, gemahlener Ingwer und Ingwerwurzeln, schneebedeckte Berggipfel rohen Salzes, Panflöten aus Zimtstangen, Dünen aus gemahlenem Zimt und Kümmel, nachmittaggelbes Safranpulver; Petersilie, Koriander und Krauseminzeblätter bildeten einen Urwald, Frühlingszwiebeln ein schilfbewachsenes Ufer, Knoblauch Sträuße: eine Stadt orientalischen Reichtums in nuce.
Unsichtbare Kupferschmiede schlugen das Metrum eines unhörbaren Gedichts. Geruch von Sägemehl und Zitronenholz drang wie der Duft neugeborenen Lebens aus der Ecke der Zimmermannsgilde. In den Buden der Juweliere tanzten grelle Kaleidoskope. Nähmaschinengeratter war aus der Welt der Schneider zu hören. Ambra und Moschus – egal ob vom Wal, Hirsch oder der Ratte, vermutlich aber synthetisch – betäubten bei den Parfumeuren die Passanten. Alte Frauen, aus Berggestein geschaffen, mit eingedetschten Gesichtern und greisigen Spaltkiefern, verkauften Pfauenfedern, getrocknete Chamäleons, mumifizierte Reptilien, Getränke, Kräuter; doch nur Cheira und Heira kannten den wirklichen Verwendungszweck all dieser Waren, und sie lasen außerdem noch gleichzeitig Hände und legten Karten. Oder umgekehrt.
Die Frauen gingen zum zentralen Platz des Basars, dem Treffpunkt der Fliegen, wo Metzger in ihren weißgekachelten Buden Fleisch zerhackten, zerschnitten, filetierten, entsehnten und Eingeweide und Köpfe auf den Theken drapierten. An Fleischerhaken hingen halbe und ganze Schafe, Lämmer, Hühner, Kapaune, Ochsen- und Kuhviertel, Landkarten aus zartem Rot und unverdaulichem Weiß. Schafsköpfe streckten ihre rauhen rosa Zungen heraus. Abgehackte Hufe lagen auf dem Boden. Gegenüber den Schlachtern befanden sich die Fischer, stinkend wie Meerjungfrauen, ihre Theken waren Salzstrände aus angespültem Silber und Kupfer. Aus großen Kesseln, in denen Schnecken gekocht wurden,
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