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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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Jugend gereift, war inzwischen ein gemütliches Magoggelchen geworden, das vom Heiraten träumte. Im Haushalt wollte sie nicht mithelfen, manikürte sich die Nägel und war hochnäsig wie eine junge Braut. Ihre Mutter, die älteste unter den rasch alternden Frauen, konnte ihr Bett nicht mehr verlassen, ermattet vom Leben und Gebären; sie sollte noch am selben Tag im Mittagsschlaf sterben. Die restlichen Frauen, nicht nur die Mütter, sondern auch die Jungfern, würden sie überleben und in Altersschwachsinn versinken. Baba Baluk hatte noch den Schlaf in den Gliedern und Lidern und war wie hypnotisiert vom Läuten der Ziegenglöckchen.
    Im ingwerfarbenen Innern ihres Häuschens, das nach gefolterten Kräutern und deren pulverisiertem Geist roch, saßen Cheira und Heira und starrten traurig ins Leere. In Ritzen und Schlitzen wartete der Tag, ohne die Erlaubnis zu erhalten, eintreten zu dürfen. Nach einem Seufzer nahmen sie die Arbeit wieder auf, wie ein Rosenkranz glitt eine Blütenkette durch ihre verschrumpelten Finger, in der Ferne hörten sie die Ziegen. Sie hielten das Collier hoch, an dem sanft Blüten von Granat, Mandeln und Zitronen baumelten, Marionetten gleich, die sprachen mit geliehenen Stimmen, in diesem Fall dem Läuten der Ziegenglöckchen.
    Die Schulglocke ertönte, und die Schüler stürmten aus den Klassenzimmern. Der Lehrer nahm sein Feuerzeug, Marke Zarolho, aus der Brusttasche, und sofort flammte eine prometheische Glut auf, welche seine Zigarette, Marke Casa Sport, in Brand setzte, sie schien nicht aus Tabak, sondern aus Reisig zu bestehen. Nikotin und Teer sengten Löcher in des Lehrers Lungen, wie Reißzähne trat der Rauch aus seinen Nasenlöchern. Auf der Galerie stehend, ließ er den Blick über den Hof schweifen. Die Stimmen hatten den Platz verlassen, und es herrschte jene außergewöhnliche Stille, wie sie nur auf Schulhöfen vorkommt: eine flirrende Stille, als wären die Stimmen nicht verschwunden, sondern holten nur kurz Atem, um gleich wieder losplappern zu können. Eine Stille mit Erinnerungsvermögen. Und rund um Baba Baluk herum wurde die Stille mit kurzen Klapsen verjagt vom Läuten der Ziegenglöckchen.
    Was für ein lärmiges Land, dachte der Lehrer; während auf weitgestreckten Ebenen und in schroffen Bergpässen die Stille über eine Bevölkerung aus Grillen regierte, wurde dieses Schweigen andernorts übermäßig kompensiert, nämlich dort, wo sich die Menschen drängten, sei es in Siedlungen, Dörfern oder Städten. Dort war das Reich der Stimmen, wie jetzt im Basar, den er betrat, um sich an seinen Tisch zu setzen. Er nutzte die Mittagspause stets, um sich als Schreiber zu verdingen. Der Apfelverkäufer kam gleichzeitig mit ihm dort an, die glasierten Früchte umkränzt von jungen Blättern. Auf einem staubigen Feld luden die Disteln die Ziegen zu einer Mahlzeit ein; die Tafelmusik oblag dem Läuten der Ziegenglöckchen.
    In der Stadt drängelten sich die sieben Jungen vor dem Eisverkäufer, er hatte lediglich drei Sorten Eislollis im Angebot: rot, farblos und weiß. Das rote Eis bestand aus gefrorenem Wasser mit Farbstoff und schmeckte wie das farblose: nach nichts. Das weiße aber bestand aus gefrorener Milch und lag in einem Extraeisfach. Mit dem Zahnstocher in jedem Würfelchen sah es aus wie ein kleiner Nordpol mit Polstange. Echtes Eis, pistaziengrün, erdbeerrosafarben, zitronengelb und negerleinbraun-schokoladig, luftig wie gefärbte Baumwollzausel, in echten Waffeln und Hörnchen, gab es bei anderen Eisverkäufern, doch dafür reichte ihr Geld nicht. Der Eisverkäufer trank eine Orangina, Flöhe aus Kohlensäure sprangen auf und ab, und die Eiswürfel klickerten gegen das Glas und klangen wie das Läuten der Ziegenglöckchen.
    Es war Zeit für den Nachmittagsunterricht, der Lehrer stieg gemächlich die Treppen zum Klassenzimmer hoch, wo alle acht Schulbänke leer waren. In der Ferne kauerte ein Junge einsam vor einem Bach und wusch weinend seine Hosen, ein Kranz aus smaragdfarbenen Fliegen umsummte ihn erst und trollte sich dann enttäuscht. Er schluchzte und wischte sich die Tränen weg, die trotzdem weiterflossen. Seine Wangen waren so rot wie der ausschlaggerötete Hintern. Er wurde schlichtweg windelweich gedroschen. Irgend jemand sollte mal ausrechnen, wieviel Liter Tränen in einer Kindheit durchschnittlich vergossen werden. Er hängte die Hose auf, und als sie trocken war, zog er sie an und ging nach Hause. Dort schlich er sich ins Haus, Vater schlief

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