Paravion
hatte im Wasser geplanscht, umfangen von goldnem Staub und grünem Schatten, umweht von einer Brise wie der Atem aus dem Mund eines Mädchens, das Erdbeeren und Zitronen gegessen hatte. Die Bäume hatten bereitgestanden mit ausgebreiteten Handtüchern, gewebt aus Sonneneinschlag und Chloroformschuß, flaumige und weiche Herbstbaumwolle. Weiß und rot spielte das Licht in seinen geschlossenen Augen, ein Sturz in die Tiefen seiner Pupillen.
Die Ziegenglöckchen hatten sein Bad begleitet, Musik, die ihn stets umgab und am Morgen weckte.
Während des Abwaschs nach dem Abendessen fragten die Mütter die Jungen, was sie in der Schule gelernt hätten. Die Mädchen hörten, den Daumen im Mund, der Geschichte schläfrig zu, jeden Abend dieselbe, denn es war die einzige Geschichte, die die Jungen sich merken konnten. Die Mütter unterbrachen sie, um die Daumen aus den Mündern ihrer Töchter zu ziehen.
»Hör auf, am Daumen zu lutschen!« sagten sie dann. »Sonst darfst du nicht mehr zuhören.«
Die Mädchen zuckten mit den Schultern, na und? Erpressen ließen sie sich nicht. Außerdem wollten sie ihren Brüdern nicht das Gefühl geben, daß sie ihnen gerne zuhörten.
»Ich verstehe nicht, was daran schmecken soll«, sagten die Mütter, nicht zum ersten Mal.
»Es schmeckt nach Tomaten und Bananen«, parierten die Mädchen, die Mundwinkel naß vom Speichel, schwer verständlich, als kauten sie tatsächlich auf Tomaten und Bananen.
Dann erzählten die Jungen die Geschichte weiter, die der Lehrer so oft schon vorgelesen hatte. Die Geschichte spielte in einer Schule irgendwo auf dem Land. Eines Tages fragte der Lehrer die Kinder in der Schule ab, die nur aus einem Klassenzimmer bestand, wie man auf dem Bild im Buch sehen konnte. Jedesmal, wenn einer der Schüler die Antwort nicht wußte, wurde sie durchs offene Fenster hereingerufen.
Nachdem dies einige Male geschehen war, ging der Lehrer hinaus, um das Orakel zu suchen. Und was war es? Ein Schäfer, der seine Schafe immer in der Nähe der Schule hütete, saß zusammengekauert unter dem Fenster. Er wußte die richtigen Antworten. Unter dem Fenster versteckt verfolgte er den Unterricht, und er war so wissensdurstig – der Lehrer runzelte die Brauen und warf einen Blick auf seine Klasse –, so wissensdurstig war er – er wiederholte das Wort extra noch einmal –, daß er sich alles merkte. Davon beeindruckt beschloß der Lehrer aus dem Buch, daß der Schäfer von nun an am Unterricht teilnehmen dürfe. Und er wurde der beste Schüler von allen und später ein berühmter Wissenschaftler, was für ein Streber.
In Augenblicken wie diesen vermißten die Jungen ihre Väter, die für solche Gelegenheiten immer eine passende Bemerkung parat hatten, wie auch für den Fall, daß die Frauen wieder mal die Leier herunterrasselten, wie ungeheuer wichtig die Schule und das Lernen doch seien.
»Wenn du zur Schule gehst«, sagte die Mutter und streichelte ihren Sprößling voll antizipierender Hoffnung, »lernst du lesen und schreiben. Und dann wirst du ein berühmter Wissenschaftler, und Mama ist ganz stolz auf dich.«
»Ein Wissenschaftler?« Vater warf ihr dann einen Blick zu, als hätte sie gesagt: ein Stricher. »Pah, er soll lieber lernen, wie man Kartoffeln anhäufelt.«
Solche Dinge knüpften das Band zwischen Vater und Sohn enger.
Die Mädchen waren inzwischen eingeschlafen. Sie hatten die Geschichte schon so oft gehört.
2
Die Ziegenglöckchen weckten Baba Baluk und begleiteten ihn den Hügel hinab. Die Ziegen grasten und fraßen Kakteen und Olivenblätter. In der Ferne sah er die Jungen zur Schule gehen, rennen, hopsen, sich schubsen und sich fangen. Er setzte sich auf einen Stein. Die Stimmen erstarben, und süß und beruhigend drang in sein Ohr das Läuten der Ziegenglöckchen.
Irgendwo testete eine Grille ihr Morsealphabet, ein Kuk-kuck zählte eine Ewigkeit von Stunden auf, eine Krähe krächzte, ein Frosch furzte, der Esel iahte, doch nichts war lauter als das bimmelnde Läuten der Ziegenglöckchen.
Der Himmel öffnete sämtliche Pforten, um Raum zu schaffen für die Sonne, die zenitwärts kletterte, die Stille traf Vorkehrungen für die Siesta, die Frauen in den Häusern hielten ihre Morgenrituale, die sieben Mädchen, ein paar Monate älter als Baba Baluk, lümmelten gelangweilt herum. Wie jeden Morgen rochen die Häuser nach benutzten Latrinen und Krauseminzetee. Aus dem ältesten der Mädchen, einst mit begehrenswerten Rundungen ausgestattet, in der
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