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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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schrak auf, blinzelte, sah fern in der Fata Morgana einen dunkelroten Schleier flirren, eine Spiegelung des Sonnenlichts womöglich.
    Im Hintergrund zählte der Kuckuck eine Ewigkeit von Stunden auf, ohne dessen müde zu werden, die Grillen zirpten, das Bächlein war aufs Zungenreden verfallen. Süß drang ihm ins Ohr und verwandelte sich dort in etwas anderes das Läuten der Ziegenglöckchen.
    Baba Baluk spürte etwas an der Schulter und erwachte langsam. Er blinzelte träge, die Augen wollten sich nur widerwillig öffnen. Traumfetzen kämpften mit der Umgebung um Vorrang. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen, gähnte, streckte sich und sah auf. Um ihn herum standen die Dorfjungen, übersät mit Flicken aus Schatten, Sonnenlicht und Ultramarin: Es war Zeit für seine Tracht Prügel. Sie waren früh heute; das Schulschwänzen hatte ihrer Laune merkwürdigerweise gehörig Abbruch getan. Draußen vor seinem kleinen Garten sah der Schäfer, wie Senunu fliegend seine Kreise zog.
    Er nickte und wollte sich erheben, wurde aber daran gehindert. Die Jungs gingen zum Angriff über, drückten ihn zu Boden, traten ihn und zogen ihn durch den Staub. Die Ziegen rannten davon. Es war ein Ritual, das Baba Baluk in- und auswendig kannte, und weil er wußte, wo und wann welcher Schlag und welcher Stoß erfolgen würden, wußte er auch, welche Haltung er einnehmen mußte. Also warf er sich auf die eine Seite, um den schlechtgezielten Tritt in die Lenden zu empfangen, dann auf die andere, um eine Faust im Rückgrat zu spüren; auf dem Bauch liegend erhielt er einen Tritt gegen den Hinterkopf; instinktiv verdeckte er sein Gesicht und preßte die Beine steif aneinander, um sein Leben zu schützen. Vielleicht machte es den Jungen deshalb so wenig Spaß; ihre Aggression war lustlos, pflichtgemäß, ihre Schläge waren ohne Elan.
    Selbst das Spucken machte ihnen Mühe, Speichel, rot vom Eis, flog ihm matt um die Ohren, der Masturbant aber hatte seine Mundflüssigkeit bereits aufgebraucht.
    Mißvergnügt ließen sie von ihm ab und rannten davon. So machte das Ganze keinen Spaß. Senunu wollte hinter ihnen herlaufen, hatte aber vergessen, daß er in einem Baum gelandet war, und stürzte ab. Humpelnd und zusammengekrümmt, die Flügel zerzaust, stolperte er weiter, ihm war schlecht vor Schmerz. Der Schäfer, der nicht begriff, was los war, stand auf, ging zum Bach, zog sein ockerfarbenes Gewand aus und stieg ins Wasser. Im Laub bewegte sich etwas, sprang von einem Baum zum anderen, große Flügel schossen vorbei, ein goldnes Gekräusel. Als er einen Schlag zwischen den Schulterblättern spürte, erstarrte er für einen Augenblick.
    Plötzlich war da dieses Mädchen. Wie es beschreiben? Stück für Stück, so wie Baba Baluk es gewahrte, während er den Kopf hob? Auch eine Eidechse, unterwegs wer weiß wohin, hielt einen Augenblick inne, um das Mädchen zu betrachten.
    Es starrte ins Leere, die Spiegelung des Wassers glitt über sein Gesicht und die leicht gebogenen Schienbeine, ein Kettenpanzer aus Schleiern. Die junge Frau trug ein ärmelloses Kleid aus weinroter Gaze, durch die neblig ihr heller Körper rosa schimmerte. Ihre großen Zehen bogen sich aufwärts, berührten den Boden nicht, ragten aus den übrigen geordneten Zehen mit muschelfarbenen Nägeln hervor. Ihre Knie, unbedeckt von der Aurora ihres Schleiers, hatten die Form von Birnen, Ausbeulungen in glatten, schlanken, geschmeidigen Beinen. Sie war hellhäutig, von fast krankhafter Blässe, wäre da nicht die Sonne, die sich erfreute an diesem Weiß, auf das Gelb und Grün gekleckert waren, glänzend wie Ölfarbe, Farbstudie für einen Zitronenbaum. Sie sah müde aus, schien eine lange Reise hinter sich zu haben. Sie schüttelte ihre Glieder, strich unsichtbare Knitterfalten glatt. Die Blätter rauschten.
    Unter Wasser bedeckte Baba Baluk mit beiden Händen seinen schwimmenden Lausewenzel, der einzige Fisch, der in diesem Bach leben wollte. Sie sah ihn an und lächelte mit Lippen wie ausgestreckte Ibisflügel. Ihre schmalen Schultern hingen kopfstehenden Fragezeichen gleich unter den Strähnen ihrer rabenschwarzen Locken. Die Welt zog sich probeweise ein Glitzerkleid an und betrachtete sich in den Spiegeln ihrer Augen, aus denen plötzlich alle Farbe wich: Die Sonne schien darauf.
    Der Schäfer wußte nicht, was er tun sollte, er starrte auf seine Beine, die unter den Wasserriffeln tanzten. Dann hob er wieder den Kopf und hoffte insgeheim, sie wäre verschwunden. Sie aber hatte sich

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