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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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Einer von ihnen tat dies sogar immer wieder während der beklemmend öden Unterrichtsstunden, die bloß aus Vorlesen oder Wörterlernen bestanden. Wie er sich unbemerkt einen Schleimbatzen, eine Mischung aus Luftbläschen und Speichel, es sah aus wie Froschlaich, in die Handfläche spucken konnte und sich ohne hörbare Schmatzgeräusche einen abhobelte, war ein Geheimnis und ließ sich gewiß nicht in Schulbüchern ergründen. Der Lehrer bemerkte es nie, obwohl die Jungs hinter vorgehaltenen Händen kicherten.
    So geschickt schon die jungen Mädchen das Haar nach hinten streichen können, um es in einen Pferdeschwanz oder einen Knoten zusammenzubinden, so versiert waren die kleinen Jungen im Onanieren.
    Über dem Schulhof voll mit Kies und Stimmen schwebte Senunu umher und sah unter sich das Chaos aus spielenden und, was öfter der Fall war, sich prügelnden Kindern. Unter einem Vordach befand sich die offene Hölle nie gereinigter Latrinen. Sie waren so ekelerregend, daß der verlegenste Junge der Klasse sie nicht zu betreten wagte. Weil der arme Knabe aber keine Kontrolle über seinen Schließmuskel hatte, geschah es, daß er aufgrund dieser Empfindlichkeit fast täglich die Schule mit einer wohlgefüllten Hose verließ, als trüge er noch Windeln, die er zeitlebens nie getragen hat, und mit einer Schar Fliegen als Gefolge. Natürlich war er das Gespött der Schule, aber verdroschen wurde er nie; er hatte ja auch ein sehr wirksames Abwehrgeschütz. Die Hiebe bekam er dann zu Hause, was seiner Sauberkeit nicht unbedingt Vorschub leistete. Einmal half ihm Senunu, sich und die Hose beim verlassenen Brunnen zu waschen. Zusammen warteten sie, bis die Hose, schwarzgestreift und rosa, getrocknet war, Senunu hielt den Arm um die Schultern des Jungen gelegt. Danach gingen sie nach Hause, glücklich, stolz und sich einer gewaltfreien Heimkunft sicher.

    Warum er so spät sei? erkundigte sich die Mutter mit bereits erhobener Hand. Warum sie ihn das frage, wenn sie es gar nicht wissen wolle, wunderte sich der Junge, während er in eine Ecke gekauert sich Herz und Lungen herausplärrte und über seine schmerzenden Stellen strich. Zum Glück mischte sich sein Vater nicht ein, das ersparte ihm eine weitere Tracht.
    Er schwor sich jedoch, daß er nie, nie im Leben diese Latrinen betreten werde. Dann lieber eine Tracht Prügel. Oh, paradiesische Kindheit.
    Dabei war es keineswegs so, daß die Jungen etwaige Züchtigungen, die sie auf der Schule erlitten, an Baba Baluk abreagierten. Der Lehrer, der zerstreute, melancholische Schreiber, schlug sie nie. Zu blöd nur, daß einer der Schüler dies dem Vater erzählte, der sogleich am nächsten Tag in der Schule auftauchte, den Sohn wie den Lehrer verfluchend, weil sie ihn zu diesem Gang nötigten. Also schloß er seine Frau im Haus ein und ging die Asphaltstraße entlang zur Schule, als bestiege er einen Berg. Beim Schultor nahm er den Lehrer beiseite und brachte laut und empört sein Anliegen vor.
    Warum er die Kinder nicht schlage? Was für eine Unterrichtsmethode der gute Mann sich einbilde? Wie er den Kindern auf diese Weise etwas beizubringen gedenke? Und während er so sprach, hackte der Mann in die Luft, als ob er in der Hand eine unsichtbare Gurke hielte. So, so müsse man das machen.
    »Ein Kind hat Rechte, Herr Lehrer, und Sie haben Pflichten!«
    Der Lehrer hörte geistesabwesend zu, ließ ab und zu seinen Blick schweifen, nickte und versprach Besserung, worauf er die noch immer zuhackende Hand des Mannes, nachdem er sie einige Male vergeblich zu haschen versucht hatte, endlich fing und schüttelte. Der Mann entfernte sich ächzend und zufrieden über die zweifellos bevorstehende Veränderung. Zu seiner Frau sagte er, daß jetzt alles gut werde.

    Die Jungen saßen gelangweilt in ihren Schulbänken, die Fingerspitzen violett von der Tinte, die Hefte voller Flecken und Tätowierungen. Das Klassenzimmer besaß keine Fenster.
    Und trotzdem hatten die Kinder einen Blick, als starrten sie durch Fenster in eine schummrige, augenermüdende Landschaft. Die Schulglocke läutete, und sie schreckten zusammen. Weg waren sie.
    Baba Baluk trieb die beiden Ziegen bimm-bammelnd den Hügel zu seinem Haus hinauf. Sein Körper schmerzte von all den Schlägen. Das Abendrosa legte einen sanften Schleier über Felder und Berge. Ein Gefühl der Sicherheit und des Glücks erfaßte Baba Baluk. Er hatte die Schmerzen im Bach abzuwaschen versucht, und jetzt prickelten seine Glieder vor Sauberkeit. Er

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