Paravion
erfrischt – im Gegensatz zu Nevernym, der keineswegs die Absicht hatte, auch nur einen einzigen Schuß- oder Kettfaden zu rühren. Baba Baluk fühlte sich nicht allein erfrischt, sondern auch gesättigt, in der Nase trug er den Duft marinierten Fisches, und seine Rülpser mischten den Geruch von Olivenöl, Zitrone und Tomaten. Sogar das Schwindelgefühl nach einer übermäßigen Mahlzeit plagte ihn, die Beklemmung ungleich verteilten Blutes: im Kopf zuwenig, im Magen zuviel. Er konnte sich an keine Einzelheit seines Traums erinnern.
Baba Baluk beschloß, seinen Weg zu Fuß fortzusetzen, das tat gleichzeitig seiner Verdauung gut. Die Landschaft bot nur wenig Abwechslung: Berge und Plateaus, Senken, ausgetrocknete Fluß-
oder Bachbette, Kakteen,
Dornengestrüpp und die unvermeidlichen grauen Olivenbäume, gekrümmt wie vergreiste Straßenhändler unter schwerer Korblast. Ein einsamer Oleander zeigte die letzten verschrumpelten Blüten wie eine Halbweltdame die verwelkten Brüste. Leben gab es hier keins, nur Stein, und am Himmel Höllenfeuer. Hartes Licht, hartes Gestein. Am Nachmittag traf er in einem Tal auf ein Dorf aus Lehmhütten.
Kinder kamen angerannt, um dem einsamen Reisenden hinterherzuwinken.
Erst gegen Abend wollte der Teppich wieder fliegen. Die letzten Sonnenstrahlen streiften Baba Baluks Augen, und er schwebte mitten hinein in die ersten Sterne. Dort, wo er saß, beulte sich der Teppich aus, denn er war schwerer geworden von einer unerklärlichen Mahlzeit, einem unsichtbaren, aber zweifellos äußerst schmackhaften Gericht. Abermals Fisch.
Baba Baluk, der Schäfer, legte seinen Kanten Brot ab: Er hatte nur spärlich vom Fischgericht genommen, das Cheira und Heira in stiller Verehrung Mamurras zubereitet hatten. Still, weil sie ihm nichts von Mamurra erzählt hatten, was sie aber zu gegebener Zeit nachholen wollten. Sie wußten sehr wohl, daß sie nicht so gut kochen konnten wie Mamurra. Aaach, dieses Mädchen, was für himmlische Hände sie hatte! Sie selbst hielten es mehr mit Eintöpfen, Fleischwürfeln, Kartoffeln und Gemüse, das Ganze abgeschmeckt nur mit einer einzigen Pfefferschote, dafür aber mit den Kernen.
Gerade auf die Kerne kam es an. Die beiden vermißten Mamurra, nicht so, wie man jemanden vermißt, der abwesend war – denn Mamurra war für sie nicht abwesend –, sondern wie man schönen Zeiten hinterhertrauert.
Baba Baluk fühlte sich komisch, lustlos, irgendwie vergnügt, und dann war ihm doch nach Weinen zumute. Sein Magen war wie versperrt, die Kehle zugeschnürt, das Herz ein Schwalbennest, in dem unsicher ein paar Jungvögel zappelten.
Die Zwillinge wußten genau, was ihm fehlte.
»Geh schlafen, Hosseloddelchen«, sagten sie. »Dann wird es schneller Morgen.«
Der hohle Baum hinterm Haus hatte bis zur Dämmerung gezwitschert und gebebt vor lauter Vögeln. Die beiden weißen Eulen hatten ihr Truppenlager dort verlassen. Cheira und Heira hofften noch, daß sie eines Tages wiederkämen.
Doch im hohlen Baumstamm schlief jetzt ein Vogel, der an Umfang der größte war, an Flügeln aber der kleinste: Senunu.
Seine Flugkünste machten nur hopsweise Fortschritte, und seitdem schlief er nicht mehr zu Hause; die Mutter hatte ihn in den Dunstschwaden ihres Schwachsinns längst vergessen. Die Schwestern vermißten ihn nicht, sie hatten nur noch Augen für sich: Weibliche Rundungen schlangen sich wie Blattgerank um ihre Körper, Festons für zukünftige Bräutigame. Sie betrachteten ihre manikürten Fingernägel, pusteten feinsten Diamantgrieß weg und drehten die ausgestreckten Hände im Sonnen- und Mondlicht: Mädchen, die vor einem Spiegel stehend kostbare Gewänder anprobierten.
Baba Baluk lag im porzellanblauen Dämmer seines Zimmers, der Mond ließ durchs offene Fenster eine Hinterbacke sehen.
Cheira und Heira kamen, um ihm eine gute Nacht zu wünschen und küßten den roten Hennakreis auf seiner Hand. Fast hätten sie Mamurra zu ihm gesagt, so allgegenwärtig war diese.
Der Horizont trug einen weißen Kragen. Allmählich füllte er sich mit überblendendem Schein. Ein Cape aus goldnem Licht legte sich über den Grat, und ganz langsam stieg eine gehörnte Sonne auf. Die Morgendämmerung ergriff Besitz vom Land, und die Vögel begannen ihre Matinee in gelbgrünem Morgen, ein aus blühenden Zitronenzweigen gewebter Baldachin, unter dem die Sonne mit stets länger werdenden Strahlen die ersten alten Frauen weckte, welche daraufhin, gebeugt unter Dornenkronen aus
Weitere Kostenlose Bücher