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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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Knöchel auf, und es dauerte einen Augenblick, bis kleine Pünktchen Blut zu sehen waren. Das Blut war schwarz. Als sie aus dem Schatten trat, schlug ihr das Mittagslicht in die Augen, in denen dämonisch eine Freude aufflackerte, die zu verdorben und zu erwachsen war für so ein junges Mädchen. Sie würde eines Tages noch stolz auf ihn sein. Zwischen ihre Schulterblätter bohrten sich die verlangenden Blicke des armen Schäfers, der sich, ihrem Rat folgend, ins Wasser begeben hatte. Wer konnte so einem Geschöpf schon widersprechen. Es dauerte eine Weile, bis er merkte, daß er sein vom vielfältigen Tragen verwittertes und verblaßtes Gewand mitsamt dem Aufhänghaken noch anhatte.
    Nachts, wenn Baba Baluk schlief oder keinen Schlaf finden konnte, oder wenn er über die merkwürdigen Veränderungen in seinem Körper und Geist nachdachte oder sich darüber wunderte, daß er überhaupt denken konnte, brachen Cheira und Heira zum Abqar-Tal auf, wo die Blumen schliefen wie Babys, um den Blättern und dem Bach abzulauschen, was am Tage passiert war, während sie zustimmend nickten und weiterknüpften. Feuerfliegen tauchten ihre Hände in Licht.
    Die Nymphen und Faune, die sie knüpften, sahen genau aus wie jene, die der Schäfer am Nachmittag gesehen hatte. Sie mußten lachen, als sie den nächtlichen Hallworten entnahmen, der Schäfer sei traurig aus dem Wasser gestiegen, weil das Mädchen seinen Esel, mit dem er ihm doch imponieren wollte, keines Blicks gewürdigt habe.
    Nevernym machte Fahrt. Baba Baluk, des Teppichs Launenhaftigkeit fürchtend, tätschelte ihn ab und zu, um ihn günstig zu stimmen: Das tat übrigens jeder, der, bevor er zum Teppich überwechselte, ein Lasttier geritten hatte. Nevernym also machte Fahrt, aber keineswegs problemlos, manchmal bäumte er sich auf oder schlug gar Saltos, wobei der arme Mann auf ihm Todesängste ausstand. Bisweilen setzte er sogar ganz aus, worauf Baba Baluk vorsichtig manövrieren mußte, um mit heiler Haut zu landen. Er versuchte, sich vorwiegend in warmen Luftschichten zu bewegen, in denen Nevernym ohne große Anstrengung schweben konnte. Ihm stand ein langer Flug bevor, damit aber hatte er sich inzwischen abgefunden.
    In den unbarmherzigen Weiten eines Nachmittags, nach einem schimärischen Mahl erlesener, himmlisch marinierter Meerbrassen, setzte er unweit einiger Knaben, die am Rand einer Schlucht auf Kundschaft für ihre Aprikosen, Pfirsiche, Pflaumen und Trauben warteten, zum Sinkflug an. Obst wie Verkäufer waren matschig von der Sonne. Ohne vom Gefährt abzusteigen – Nevernym dümpelte wie ein wartendes Fischerboot auf der Stelle –, besah er sich die Früchte genau und wählte die schönsten Exemplare aus. Während er so tat, als krame er im Beutel an seinem Gürtel nach Geld, gab er Nevernym die Sporen und schoß davon. Die Kinder waren verblüfft, doch nur einen Moment lang, dann faßten sie sich rasch und griffen nach jedem verfügbaren Stein, um ihn unter Flüchen zu beschießen, in denen Baba Baluks Verwandte mütterlicherseits eine tragende Rolle spielten.
    Außerhalb der Reichweite von Steinen und Stimmen widmete sich Baba Baluk seinem Dessert. Die Früchte schmeckten wie ein Zungenkuß. Seine Verdauung war eine erfüllte Liebe, der daran anschließende Stuhlgang die Erlösung aus befriedigender Umarmung. Fische und Früchte aus dem Füllhorn des Überflusses, schaumgeboren beide: eine höchst merkwürdige Zusammenstellung! Allmählich wurde er neugierig auf das Meer.
    Im rotkupfernen Abend landete er in einem namenlosen Dorf, wo er in einem Gasthaus übernachten wollte. Die Dorfbewohner bestanden aus Dornen und Felsen und trugen grobwollene Gewänder, unter denen sich nichts Gutes erahnen ließ. Aufmerksam verfolgten sie seine Landung. Ein alter Schäfer kehrte gerade mit seiner Herde von den Weiden heim, die prächtigen Tiere trugen die Fruchtbarkeit der Wiesen in sich, das Rot und Grün saftiger Talsenken spiegelte sich auf ihrem Fell und auf den greisen Wangen des Schäfers. Traurig wie eine Dampflokomotive blies er seine Flöte.
    Das Gasthaus lag verlassen, eine alte Frau saß im Hinterhof, buk am Boden kauernd Brot und brühte Tee auf. Nackte Kinder mit aufgeblähten Bäuchen linsten herein. Er trank Tee dort: Krauseminze wie Tiefseeflora in einem mit Honig und Gold gefüllten Glas, und aus dem Brunnen gewann man Silber: Alles wies unwiderruflich aufs Meer hin. Der Wirt richtete sein Bett her, ächzend und wild tatschend, als bereite er sein

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