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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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dort, wo jegliche Bekleidung verboten zu sein schien. Zum Glück befand sich das Teehaus im Ostteil des Parks, also weit von diesem Ort des Sittenverfalls entfernt.
    Gegenüber befand sich die Pizzeria Süzülien, wo die schnauzbärtigen Ober ein merkwürdiges Italienisch sprachen, und wiederum daneben stand ein weiteres Gasthaus, Shalaam –
    Marijkens Lieblingsrestaurant –, es war auf Falafel spezialisiert. Die Teehäusler unterhielten kaum Kontakte zu den Gästen des Shalaam. Die Bauarbeiter erhoben sich und trugen das Tablett mit der Teekanne und den Gläsern hinein.
    Pffft, sie seien müde, jetzt erst mal ein kleines Schläfchen, am frühen Nachmittag werden sie wiederkommen, um weiterzuarbeiten. Der Wirt nickte und grüßte zurück. Durch einen Wasserfall bunter Perlen hindurch traten sie auf die Straße. Der Postbote bastelte an seinem Solex herum, wie jeden Tag. In Paravion gab es keine Ersatzteile dafür, und so mußte er sich mit Draht, Bindfaden und sogar Klebeband behelfen. Den Traum, sich ein neues Solex anzuschaffen, hatte er schon längst aufgegeben. Die Marke gab es hier nicht. Und sollte sich sein Solex nur noch auf Krücken vorwärtsbewegen, er würde sich trotzdem nie davon trennen. Er war in Paravion zu einer Sehenswürdigkeit geworden, und man hatte ihm schon viel Geld für seinen fahrenden Untersatz geboten, doch er wollte es nicht verkaufen. Er hätte es zu gern gegen ein anderes Solex eingetauscht, doch das einzige, das er je zu Gesicht bekommen hatte, stand im Schaufenster eines Museums oder einer Kunstausstellung oder in einer ähnlich verrückten Institution, von denen es in Paravion so viele gab.
    Im Teehaus lief ein Fernseher, der auf einen moreanischen Sender eingestellt war. Es wurden gerade Bilder vom Narvelmeer gezeigt, wo die Guardia Civil ein paar Schiffbrüchige herzlich willkommen hieß. Manche Flüchtlinge hatten die Überfahrt schon öfter gewagt und stellten sich als alte Bekannte der Ordnungshüter heraus. Sie wurden vor der Kamera begrüßt wie alte Freunde und dann zurückgeschickt wie Hunde.
    »Wenn sie nicht auf dem Weg nach Paravion sterben«, sagte der Fischer und schaute wie immer sehr aufmerksam hin, denn er hoffte, einmal doch einen Blick auf sich selbst erhaschen zu können, »dann sterben sie, wenn sie nach Morea zurückgehen.« Daß er an seiner Welt voller Leichen und Eulen nicht verzweifelte, hatte er dem Cannabis zu verdanken. Mit seiner Bemerkung spielte er auf die Abwesenheit des Lehrers und des Eseltreibers an, die aus Morea nicht mehr wiedergekommen waren. Der Apfelverkäufer nickte. Vielleicht lag es am Heimweh. Niemand überlebte die endgültige Rückkehr in sein Heimatland. Das war bekannt. Nur als Leiche akzeptierte einen die Erde dort noch.
    Die Anwesenden saßen aufreglosen Teppichen und lehnten sich gemütlich an die Wände. Das Teehaus bestand nur noch aus nackten Fußsohlen und aus Geschlürfe, der Eingang war versperrt von einem Stapel Babuschen, und der Weihrauch hatte Mühe, den Fuß- und Schweißgeruch zu überdecken. Der Karrenlenker aus Stroh nieste unaufhörlich. Seine Lungen waren dank der heilsamen Luft Paravions genesen. Sie schieden kaum noch Heu ab, obwohl es ihm vorkam, als schüttelte der alte Wagen noch immer sein Rückgrat durch.
    Das Gehen auf den schnurgeraden Wegen von Paravion fiel ihm schwer, denn er war sein Hinken noch nicht ganz los.
    »Linien und Sicheln, Linien und Sicheln«, murmelte er rhythmisch, um seine rastlosen Füße zu führen. Noch immer geschah es, vor allem, wenn er in den verbotenen Gegenden mit den roten Lichtern herumstreunte, daß er hochfederte und dabei »Hu!« rief, um seinem innerlichen Erbeben Einhalt zu gebieten. Ein Arzt hatte ihm Medikamente gegen das Zucken verschrieben. Aber er fühlte sich hier noch nicht zu Hause, und besser ging es ihm auch nicht, obwohl seine neue Art zu niesen immerhin darauf hinwies, daß er sich an den neuen Ort doch etwas anpaßte.
    »Und, hat’s noch geklappt?« erkundigte sich der Teppichverkäufer. Er allein kannte sämtliche Wege Paravions und alle Schleichwege durch die Sozialämter und Initiativen.
    Nur den Weg zum Zahnarzt schien er nicht zu kennen, denn sein Gebiß zerbröckelte zur Ruine: Efeu klammerte sich an seine zackenrandigen Zähne, am Gaumen wuchs ihm Unkraut, und ab und zu spuckte er ein paar tote Insekten aus. Könnte ein faulender Wald lachen, dann müßte das wohl so aussehen.
    Alles, was er brauche, sei die Rinde des Walnußbaums, aber versuch’

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