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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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sie wieder aus. Unter den flanierenden Menschen fiel sein Blick auf zwei aufgeregt redende und kichernde Vollreife Frauen. Sie hatten sich untergehakt und schnatterten und plapperten. Hübsche Tücher hingen von ihren Schultern, reichten bis zum Boden, Armbänder glitten von ihren Handgelenken, Fußreifen trommelten fröhlich. Sie gingen, als gehörte ihnen die Straße allein, sie schwenkten ihre neuen Arme in frischgewonnener Freiheit, wiegten übertrieben die Hüften, flirteten in aller Öffentlichkeit mit den männlichen Passanten. Besonders auffällig gekleidete und herausgeputzte Frauen sprachen sie an, betrachteten sie von allen Seiten und fragten sie neugierig aus.
    Keine Parfümerie und keine Drogerie ließen sie aus, eine Nachkommenschaft aus Düften folgte ihnen. Sie waren eine Sehenswürdigkeit in einer sehenswürdigen Umgebung. Sie glühten richtig vor Liebe für das neue Leben.
    Den Karrenlenker verschlug es in abgelegenere Straßen. An den Straßenbahnhaltestellen hingen große Reklameposter, die er aufmerksam betrachtete; eine strahlende Schönheit lachte ihn an, Haar wie eine Seidengardine. Seit ich Bobycum-Haarspülung benutze, fühle ich mich viel sicherer, sie lächelte ein Lächeln aus Zuckerwürfeln und hielt eine Flasche in die Höhe: Von rabenschwarz bis strohblond, alle Farben für die Frau, seidenweich und mit natürlichen Inhaltsstoffen! Er ging an den Grachten entlang und blieb schließlich auf einer Brücke stehen, um aufs Wasser hinabzuschauen. Dort kräuselten sich Schatten, obwohl die Kais verlassen waren. Für den, der genau hinsah, existierte da unten eine ganze Welt schemenhaften Lebens. Nicht Schmutz und Abfall trieben dort, sondern Schattenexistenzen; der nackte Geist eines jungen Mannes dümpelte vorüber, zusammen mit dem Schemen einer Schwalbe. Gespenster spazierten kopfüber vorbei, Hand in Hand, vom Wind gewiegt, von Motor- und Rundfahrtbooten zerrissen und danach auf wunderbare Weise wieder zusammengefügt. Platanen spiegelten sich dort ebenso wie gelbe Kugeln und grüne Flecken scheinbar eines Zitronenbaums, obwohl dieser nirgends zu sehen war, es sei denn, das Wasser bewahrte eine Erinnerung an sonnige Flecken. Das Plätschern schien ein flüsterndes Singen und Summen zu sein, in weiter Ferne, hört doch: tlewnerenni und weiter: reniegnumramu. Sein mangelhaftes Hörvermögen mußte ihm einen Streich spielen! Hier schwammen keine Nymphen, das Wasser war zu schmutzig; die Nymphen trafen sich normalerweise an den Ufern der Amastal, wie die Moreaner den Fluß nannten, in explodierendem Grün, im Lustgarten, der bei den Predigern der im Westteil der Stadt so zahlreichen Gebetshäuser großes Mißfallen und Ekel hervorrief. In diesem Stadtteil gab es nur noch eine einzige Kirche, sie war vor allem eine Touristenattraktion und fast ein Fremdkörper; und die Pläne zu ihrem Umbau in eine Moschee liegen bereits auf dem Zeichentisch eines Architekten. Die Moscheebesucher beklagten sich über das Glockenläuten und das Straßenbild; die Kuppel paßte ihrer Ansicht nach so gar nicht zu den Minaretten.
    Ein paar Leute standen auf einer Brücke, um einem fahrenden Musikanten in seinem Boot zuzuschauen und zuzuhören. Mit einer Hand kurbelte er an einer kleinen Orgel, mit der anderen spielte er die Trompete. Das Boot war festlich geschmückt, und er blies und orgelte fröhliche Tanzmusik.

    Nach Beendigung seines Konzerts erhielt er viel Applaus, Geld aber keins.
    Die Zufriedenheit des Karrenlenkers wurde überschattet von einer Trübseligkeit, die auch die anderen Gäste des Teehauses zur Genüge kannten. Einsamkeit war es nicht, denn sie hatten ja einander und verbrachten viel Zeit gemeinsam. Sie teilten Gespräche, Mahlzeiten und Schlafzimmer. Nein, es war die Wehmut eines Lebens in einer Welt, die ohne sie entstanden war und in der ihre Anwesenheit keine Notwendigkeit war.
    Oder anders gesagt: Das Leben nahm hier seinen Gang, ohne daß sie darauf einen Einfluß ausübten. Die Dinge waren einfach anders, als sie es gerne hätten. Sie besaßen keine Autorität, ihre Männlichkeit wurde nicht respektiert, hier zählte das natürliche Übergewicht ihres Geschlechts nichts mehr. Das war nicht gut. Wie sollten sie hier Anschluß finden?
    Dafür wären Kompromisse nötig, und Kompromisse waren fatal für sie. Das hier war eine Welt, in der nichts deutlich unterschieden und getrennt wurde. Dieses Leben widersprach allen hierarchischen Systemen, egal ob natürlicher oder kultureller Art, der

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