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Paravion

Paravion

Titel: Paravion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bouazza
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verscharrt. Schon in jener Nacht, als sich die Mädchen an den beiden vergreifen wollten, hatten sie nur Knochen vorgefunden. Männer! Waren auch nicht mehr das, was sie mal waren.
    Wer einmal in Paravion eine Seele erhalten hat, kann nie mehr für längere Zeit in sein Vaterland zurückkehren. Man wechselt nicht straflos den Geist, das ist mir, mein lieber Schäfer, inzwischen klar geworden. Kein Herz kann an zwei Orten zugleich schlagen.
    Die Häuser standen auf einer Hügelkuppe, die von spitzstoppeligen Kakteen umgeben war. Hügelabwärts wuchs kein einziger Baum. Die Erde war vertrocknet und atmete mit dürren Lungen nur noch Staub. Das üppige Grün im Abqar-Tal mußte eine Luftspiegelung sein. Dennoch schienen Laub und Vögel allerbester Stimmung zu sein. Die fünf Feigenbäume, die sich dort unsterblich hinkauerten, hatten noch nie eine nennenswerte Ernte hervorgebracht. Der Horizont war weiß und schlierig, die Berge mit ihren dunklen Furchen waren lila, das flache Gelände rot. Das Meckern der Ziegen klang kläglich, das Läuten ihrer Glöckchen träge und leise, der Esel schluchzte grundlos mit langgestrecktem Hals. Die Grillen zirpten. Ein weißer Schmetterling haspelte panisch vorbei, auf der Suche nach Blumen oder seinen verlorenen Farben. Eine Schwalbe zog ihre Kreise über den beiden, die jetzt in den Himmel schauten. Der Nachmittag war so öde wie ihre Unterhaltung.
    Er schien von dem, was sie ihm erzählte, nicht allzuviel zu begreifen. Sie malte sich gerade die gemeinsame Zukunft aus –
    mit Paravion am Horizont – und zählte auf, was er von ihr erwarten konnte und was nicht, und vor allem, was sie von ihm erwartete. Und er – er blökte einfach drauflos.
    »Wenn wir erst einmal verheiratet sind, wird alles gut«, wiederholte er immer wieder. Er betrachtete sie voller Stolz, griff nach ihrer Hand, aber sie stieß ihn weg und schlug ihm fester auf sein flatterndes Händchen als nötig. Dabei war seine Handgreiflichkeit nur zu verständlich, denn sie sah blendend aus. Das kastanienbraune, glatte Haar fiel auf die Schultern, bauschte sich leicht an den Enden; ihre Augen hatten die mädchenhafte Lohe verloren und statt dessen zum sanften Ernst ausgeglichener Erwachsenheit gefunden. Ihr breiter Mund war geschmeidig und elastisch, kräuselte sich, streckte und bog sich je nach Laune; Ober- und Unterlippe waren gleich groß, leberfarbig, fast schwarz an der Innenseite. Das schmale Gesicht und der schlanke Hals ließen den Betrachter keinesfalls einen so überproportional großen Busen vermuten, welcher durch keinen Büstenhalter zu zähmen war, und auch die primitiven Hüften und das ausschweifende Becken nicht, die schwer an einer viel zu schmalen Taille und Rückenpartie zogen. Das Gebären werde, so hatte der Vater dem Sohne zugeflüstert, kaum ein Problem für sie sein. Er könne ihm glauben.

    »Ich bin eine anständige Frau! Untersteh dich!« rief sie aus, als er sie bei ihrer ganzen Üppigkeit packen wollte.
    »Hä?«
    Nicht nur sie, sondern auch die anderen Mädchen hatten sich verändert. Ihr Denken war voller Überschwang, ihre Bewegungen waren selbstsicherer geworden und ihre Blicke herausfordernd. Der Lehrer und der Eseltreiber waren leider schon zu grinsenden Skeletten verwest, sonst könnten sie die Mädchen, blüten- und weinrankenverziert, vor sich stehen sehen; besessen von einer natürlichen Kraft, einer Naturkraft, waren ihre Bewegungen jetzt vollkommen aufeinander eingespielt, sie handelten nach festem Ablauf wie bei einem Ritual. Sämtliche Differenzen schienen verschwunden zu sein, sie fühlten sich einander verbunden. Eine zerstörerische Sinnlichkeit jauchzte in ihrem Blut.
    Der junge Mann blieb stehen und zog Quadryge fest entschlossen und mit etwas, das er für Zärtlichkeit hielt, an sich. Er glaubte, daß sie sich in seiner Umarmung sicher fühlen werde, daß sie dort, in einer mit Liebe und Zuneigung erfüllten Welt, in der sein Herzbumpern die Stützbalken ihres zukünftigen Traumhauses gerade in den Boden rammte, ihre täglichen Sorgen vergessen könne. Er faßte sie am Kinn und schaute ihr tief in die Augen. Sei es nicht an der Zeit für das Minnespiel? Schließlich seien sie doch so gut wie verheiratet, na ja… ein bißchen sich ins Gras legen, was sei schon dabei?
    Sie riß sich los.
    »Ich kauf doch keine Katze im Sack!« sagte der junge Mann und verdrehte die Augen dabei, als hätte er diesen Ausdruck nur mit größter Mühe auswendig gelernt, was wohl auch

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