Paris, Ein Fest Fürs Leben
von Paris nach Lyon gefahren
war, aber er hatte nicht hinterlassen, wo er in Lyon absteigen würde. Ich wiederholte meine dortige Adresse, und das Mädchen sagte, sie würde sie ihm mitteilen, wenn er anriefe. Madame fühle sich nicht wohl und schliefe noch. Ich rief alle namhaften Hotels an und hinterließ Nachsicht, konnte aber Scott nicht ausfindig machen und ging dann in ein Cafe, trank einen Aperitif und las die Zeitungen. Im Cafe traf ich einen Mann, der sich seinen Lebensunterhalt als Feuerfresser verdiente und der außerdem Münzen, die er zwischen seinen zahnlosen Kiefern hielt, mit Daumen und Zeigefinger verbog. Sein Zahnfleisch war wund, aber fest, soweit sich sehen ließ, als er es zur Schau stellte, und er sagte, es sei kein schlechtes méti er. Ich lud ihn zu einem Drink ein, und er freute sich. Er hatte ein nettes dunkles Gesicht, das, wenn er Feuer fraß, glühte und glänzte. Er sagte, es sei in Lyon weder mit Feuerfressen noch mit Kraftproben von Fingern und Kiefern Geld zu verdienen. Falsche Feuerfresser hätten das métier ruiniert und würden es immer weiter ruinieren, wo immer sie auftreten durften. Er hatte den ganzen Abend Feuer gefressen, sagte er, und habe nicht genügend Geld bei sich, um noch etwas anderes an dem Abend zu fressen. Ich lud ihn zu einem zweiten Drink ein, um den Benzingeschmack vom Feuerfressen runterzuspülen, und sagte, wir könnten zusammen zu Abend essen, falls er ein gutes Lokal kenne, das billig genug sei. Er sagte, er kenne ein ausgezeichnetes Lokal.
Wir aßen sehr billig in einem algerischen Restaurant, und mir schmeckte das Essen und der algerische Wein. Der Feuerfresser war ein netter Mensch, und es war interessant, ihn essen zu sehen, da er mit seinem Gaumen ebensogut kauen konnte wie die meisten Leute mit ihren Zähnen. Er fragte mich, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente, und ich erzählte ihm, daß ich gerade anfinge, als Schriftsteller zu arbeiten. Er fragte, was ich denn schriebe, und ich sagte ihm, Geschichten. Er sagte, er kenne viele Geschichten, manche schrecklicher und unglaubhafter als alles, was geschrieben worden sei. Er könne sie mir erzählen, und ich solle sie aufschreiben, und dann, wenn sie Geld brächten, sollte ich ihm geben, was ich für richtig hielte. Noch besser, wir führen nach Nordafrika, und er würde mich in das Land des Blauen Sultans mitnehmen, wo ich Geschichten hören würde, wie sie noch kein Mensch je gehört habe. I ch fragte ihn, was für Geschichten, und er sagte, über Schlachten, Hinrichtungen, Folterungen, Vergewaltigungen,
grauenhafte Sitten, unglaubhafte Gebräuche, Ausschweifungen, alles, was ich haben wollte. Es wurde Zeit für mich, wieder ins Hotel zurückzugehen und von neuem nach Scott zu fahnden, also bezahlte ich für unsere Mahlzeit und sagte, wir würden uns bestimmt mal wieder begegnen. Er sagte, er arbeite sich runter zu nach Marseille, und ich sagte, früher oder später würden wir uns wiedertreffen, und es sei ein Vergnügen gewesen, zusammen zu essen. Ich verließ ihn, während er verbogene Münzen gerade bog und sie auf dem Tisch aufstapelte, und ging ins Hotel zurück.
Lyon war bei Nacht keine sehr vergnügliche Stadt. Es war eine große, schwerfällige Stadt mit solidem Geld, wahrscheinlich angenehm, wenn man Geld hatte und einem diese Art Stadt gefiel. Seit Jahren hatte ich von den wunderbaren Hühnern in den dortigen Restaurants gehört, stattdessen hatten wir Hammel gegessen. Der Hammel war vorzüglich gewesen.
Im Hotel war keine Nachricht von Scott, und ich ging in dem ungewohnten Hotelluxus zu Bett und las den ersten Band der Aufzeichnungen eines Jägers von Turgenjew, den ich mir in der Bücherstube von Sylvia Beach geliehen hatte. Seit drei Jahren war ich nicht mehr im Luxus eines großen Hotels gewesen, und ich machte die Fenster weit auf und rollte die Kissen unter Schultern und Kopf zusammen und war glücklich, mit Turgenjew in Rußland zu sein, bis ich über dem Lesen einschlief. Am Morgen machte ich mich fertig, um frühstücken zu gehen, und als ich beim Rasieren war, rief man vom Empfang an und sagte, es sei ein Herr unten, der mich sprechen wolle.
«Bitten Sie ihn, heraufzukommen», sagte ich und rasierte mich weiter und lauschte auf die Stadt, die schon früh am Morgen schwerfällig zum Leben erwacht war.
Scott kam nicht herauf, und ich traf ihn unten am Empfang. «Es tut mir schrecklich leid, daß es solch ein Durcheinander gegeben hat», sagte er. «Wenn ich nur
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