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Paris, Ein Fest Fürs Leben

Paris, Ein Fest Fürs Leben

Titel: Paris, Ein Fest Fürs Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Vernunft zu bringen», sagte er bittend. «Zumindest, was das Auto anbelangt.»

    «Hm», sagte ich.

    Eine Stunde nördlich von Lyon mußten wir wegen des Regens haltmachen.

    An jenem Tag mußten wir vielleicht zehnmal wegen des Regens haltmachen. Es waren vorübergehende Regenschauer, und einige dauerten länger als andere. Wenn wir Regenmäntel gehabt

    hätten, wäre es geradezu angenehm gewesen, im Frühlingsregen zu fahren. Aber so suchten wir Schutz unter Bäumen oder hielten vor Cafés an der Straße. Das Hotel in Lyon hatte uns ein wunderbares Lunch mitgegeben, ein ausgezeichnetes, getrüffeltes Brathuhn, vorzügliches Brot und weißen Mâcon, und Scott war sehr glücklich, wenn wir bei jedem Halt den weißen Mâcon tranken. In Mâcon hatte ich weitere vier Flaschen ausgezeichneten Wein gekauft, sie ich nach Bedarf entkorkte.

    Ich weiß nicht genau, ob Scott je zuvor Wein aus der Flasche getrunken hatte, und er fand es so aufregend, als ob er sich in einem verrufenen Viertel herumtrieb, oder wie ein Mädchen es aufregend finden mag, wenn sie das erste Mal ohne Badeanzug schwimmen geht. Aber am Frühnachmittag fing er an, sich um seine Gesundheit zu sorgen. Er erzählte mir von zwei Leuten, die kürzlich an einer Lungenkongestion gestorben waren. Beide waren in Italien gestorben, und es hatte ihn tief beeindruckt.

    Ich erklärte ihm, daß Lungenkongestion der altmodische Name für Lungenentzündung sei, und er erklärte mir, daß ich gar nichts davon verstünde und mich völlig im Irrtum befände. Lungenkongestion sei eine Krankheit, die in Europa heimisch sei, und ich könne unmöglich etwas davon wissen, selbst wenn ich die medizinischen Bücher meines Vaters gelesen hätte, da sie von Krankheiten handelten, die rein amerikanisch waren. Ich erzählte ihm, daß mein Vater auch in Europa studiert habe. Aber Scott erklärte, daß es Lungenkongestion erst kurze Zeit in Europa gäbe und daß mein Vater unmöglich etwas davon gewußt haben konnte. Er erklärte auch, daß die Krankheiten in den verschiedenen Teilen Amerikas verschieden seien. Und wenn mein Vater in New York statt im Mittelwesten als Arzt tätig gewesen wäre, hätte er eine völlig andere Skala von Krankheiten gekannt. Er gebrauchte das Wort Skala.

    Ich sagte, er habe ganz recht, daß gewisse Krankheiten in einem Teil der Vereinigten Staaten aufträten und in anderen nicht, und ich führte die Häufigkeit von Lepra in New Orleans an und das damals sehr seltene Vorkommen in Chicago. Aber ich sagte, daß Ärzte ein System des Wissensaustauschs und der Information untereinander hätten, und jetzt, nachdem er es erwähnt hatte, erinnerte ich mich, den maßgebenden Artikel über Lungenkongestion in Europa im Journal of the American Medical Association gelesen zu haben, in dem ihre Geschichte bis zu Hippokrates zurückverfolgt

    wird. Das beruhigte ihn eine Zeitlang, und ich redete ihm zu, noch etwas Mâcon zu trinken, da ein guter, mäßig schwerer Weißwein mit niedrigem Alkoholgehalt fast ein Heilmittel gegen diese Krankheit ist.

    Scotts Miene hellte sich etwas auf, aber kurz darauf sank er wieder in sich zusammen und fragte mich, ob wir wohl eine große Stadt erreichen könnten, ehe Fieber und Delirium einsetzen würden, durch die, wie ich ihm erzählt hatte, sich die echte Lungenkongestion, die europäische, ankündigte. Ich übersetzte ihm jetzt etwas darüber aus einem Artikel, den ich in einer französischen medizinischen Zeitschrift über die gleiche Krankheit gelesen hatte, als ich im amerikanischen Krankenhaus in Neuilly darauf gewartet hatte, daß man meinen Hals kauterisierte. Ein Wort wie kauterisieren hatte eine beruhigende Wirkung auf Scott. Aber er wollte wissen, wann wir in der Stadt wären. Ich sagte, wenn wir ordentlich loslegten, müßten wir es in fünfundzwanzig Minuten bis einer Stunde schaffen.

    Dann fragte mich Scott, ob ich Angst vorm Sterben hätte, und ich sagte, zu manchen Zeiten mehr als zu anderen.

    Jetzt begann es wirklich heftig zu regnen, und wir suchten in einem Café im nächsten Dorf Schutz. Ich kann mich nicht mehr an alle Einzelheiten dieses Nachmittags erinnern, aber als wir schließlich in einem Hotel waren, aller Wahrscheinlichkeit nach in Chälonsur-Saone, war es so spät, daß die Apotheken geschlossen waren. Sowie wir im Hotel ankamen, hatte sich Scott ausgezogen und ins Bett gelegt. Es mache ihm nichts aus, an Lungenkongestion zu sterben, sagte er. Es handle sich nur darum, wer für Zelda und Klein

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