Paris im 20. Jahrhundert
sitzen ganz einfach auf der Straße, oder besser gesagt, auf dem Asphalt von Paris.«
»Ist so etwas möglich?«
»Ja, lieber Onkel«, antwortete Michel.
»Was ist denn geschehen?«
»Also, Monsieur Huguenin.«
Dann begann Quinsonnas mit dem Bericht von seinem Unheil; die Art und Weise, wie er von den Ereignissen berichtete und sie darstellte, und – mochte er wollen oder nicht – seine überschäumende Lebensweisheit entlockten Onkel Huguenin mehrmals ein unfreiwilliges Lächeln.
»Eigentlich gibt es da nichts zu lachen«, sagte er.
»Aber auch nichts zu weinen«, meinte Michel.
»Was soll nun aus euch werden?«
»Beschäftigen wir uns nicht mit mir«, antwortete Quinsonnas, »sondern mit dem Jungen.«
»Und vor allem«, entgegnete der junge Mann, »sprechen wir doch so, als ob ich gar nicht da wäre.«
»Die Lage schaut folgendermaßen aus«, fuhr Quinsonnas fort. »Da er ein Bursche ist, der weder Finanzier noch Geschäftsmann, noch Industrieller werden kann, wie soll er sich also in dieser Welt durchschlagen?«
»Genau diese Frage muß gelöst werden«, antwortete der Onkel, »und sie ist außerordentlich heikel; Sie haben bereits, Monsieur, die drei einzigen Berufe der Gegenwart genannt; und ich sehe keine anderen, außer man ist …«
»Grundbesitzer«, sagte der Pianist.
»Eben!«
»Grundbesitzer!« wiederholte Michel und lachte laut heraus.
»In Wirklichkeit macht er sich darüber lustig!« rief Quinsonnas. »Er behandelt diesen so einträglichen wie ehrenwerten Beruf mit unverzeihlichem Leichtsinn. Unglücksrabe, hast du je darüber nachgedacht, was ein Grundbesitzer ist? Es ist doch erschreckend, mein Sohn, was dieses Wort alles enthält! Wenn man bedenkt, daß ein Mensch, deinesgleichen, aus Fleisch und Blut, von einer Frau, von einer gewöhnlichen Sterblichen geboren, einen gewissen Teil der Erdkugel besitzt! Daß dieser Teil der Erdkugel ihm persönlich gehört, wie sein Kopf, und mitunter sogar noch mehr! Daß niemand, nicht einmal Gott, ihm diesen Teil der Erdkugel wegnehmen kann, den er auf seine Erben überträgt! Daß er diesen Teil der Erdkugel nach Lust und Laune aufbohren, umgraben oder bebauen darf! Daß die Luft, die ihn umschließt, das Wasser, das ihn durchströmt, daß alles ihm gehört! Daß er seinen Baum verbrennen, seine Bäche austrinken, sein Gras verzehren kann, wenn ihm der Sinn danach steht! Daß er sich jeden Tag sagt: an dieser Erde, die der Schöpfer am ersten Tag der Welt geschaffen hat, habe ich meinen Anteil; diese Oberfläche der Halbkugel gehört mir, mir allein, mit den sechstausend Klaftern atembarer Luft, die sich darüber erheben, und den fünfzehnhundert Meilen Erdrinde, die darunter liegen! Denn schließlich ist dieser Mensch Grundbesitzer bis in den Mittelpunkt der Erdkugel hinein, und nur sein Mitbesitzer auf der gegenüberliegenden Seite der Welt setzt ihm eine Schranke! Aber, bejammernswertes Kind, du hast offenbar nie nachgedacht, denn sonst könntest du nicht so lachen, du hast also nie ausgerechnet, daß ein Mensch, der bloß einen Hektar besitzt, wirklich und wahrhaftig einen Konus von zwanzig Milliarden Kubikmetern sein eigen nennt, der ihm gehört, ihm ganz allein, so sehr, wie ihm nur irgend etwas gehören kann!«
Quinsonnas war so wundervoll, daß man ihn hätte malen sollen! Die Gestik! Der Tonfall! Das Aussehen! Er spielte blendend; man konnte sich nicht täuschen; er war der Mann, der Eigentum unter der Sonne hatte: er besaß!
»Ach! Monsieur Quinsonnas«, rief Onkel Huguenin, »Sie sind großartig! Da bekommt man doch tatsächlich Lust, bis an sein Lebensende Grundbesitzer zu sein!«
»Nicht wahr, Monsieur Huguenin! Und dieses Kind lacht darüber!«
»Ja! Ich lache«, antwortete Michel, »denn mir wird es nie passieren, auch nur einen Kubikmeter Erde mein eigen zu nennen! Außer der Hasard …«
»Wie! Der Hasard!« schrie der Pianist. »Ein Wort, das du nicht verstehst und dennoch in den Mund nimmst!«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich will damit sagen, daß Hasard von einem arabischen Wort kommt, und dieses Wort bedeutet schwierig! Nichts anderes; also gibt es in dieser Welt nur Schwierigkeiten, die gemeistert werden müssen! Und mit Ausdauer und Verstand bringt man sich durch.«
»So ist es!« antwortete Onkel Huguenin. »Nun, Michel, was hältst du davon?«
»Lieber Onkel, ich bin nicht besonders ehrgeizig, und Quinsonnas’ zwanzig Milliarden scheren mich wenig!«
»Aber«, antwortete Quinsonnas, »ein Hektar Erde
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