Paris ist eine Messe wert
Bibel verbietet ausdrücklich jede Götzenverehrung. Kurzum«, fuhr Fogacer fort, indem er eine Hand erhob, als wolle er prophezeien, und mit der anderen eine Scheibe seines köstlichen Schinkens rollte, die er sich ganz in seinen großen Mund schob, was ihm für eine gute Minute Schweigen abnötigte, »kurzum«, sagte er, als er geschluckt hatte, »unser armer Henri wird mit seiner Bekehrung sämtliche Mißbräuche, Tricksereien und Scharlatanerien bestärken, durch welche der Papismus im Lauf der Jahrhunderte die Schönheit und Schlichtheit des Urchristentums verdorben hat. Anfangs eine reine und kristallklare Quelle, wurde es durch Rom in einen breiten Strom schlammiger Fluten verwandelt und verlor damit an Reinheit, was es an Macht gewann … Ha, Pierre! Welch ein Sturz für den König! Welch eine Verleugnung! Welch feiges Zugeständnis an den Irrtum!«
Am Schluß dieser Tirade ließ Fogacer sein schallendes, wieherndes Lachen ertönen, brach ab, lächelte, und dieses Lächeln, ich wiederhole es, war nicht fest noch starr, nein, es wand sich wie eine Schlange, wobei er, den Kopf seitlich geneigt, mich mit einem Funkeln in den nußbraunen Augen ansah.
»Fogacer«, sagte ich endlich, »ich staune. Wohl sehe ich, daß hinter deiner üblichen Spötterei diesmal ein Ernst steht, der mich sehr berührt, weil ich mir mein Hugenottentum in einem geheimen Winkel meiner Brust bewahrt habe, und wenn ich aus dir bekannten Gründen die Konversion des Königs auch sehr begrüße, macht sie mich doch zugleich tieftraurig. Aber wieso nimmst du, lästerlicher Atheist, dir die Sache so zu Herzen?«
»Die Hugenotten sind meine Brüder«, sagte Fogacer, »sie wurden verfolgt wie ich. Und daß der Erste unter ihnen
urbi et orbi
abschwört, gefällt mir nicht, es wäre das gleiche, wie wenn ich meine Sitten verleugnen würde. Gott sei Dank bin und bleibe ich schwul bis ans Ende der Zeiten, oder wenigstens bis ans Ende meiner leiblichen Hülle!«
Worauf ich den Mund aufsperrte, offenen Mundes verharrte, |388| den Mund schloß, geschlossenen Mundes verharrte, einen neuen Blick auf Jeannette warf, die – aber soll ich noch ›die‹ sagen? – die naiven Lider über den Aprikosenwangen senkte. Dann sah ich Miroul an, der mich ansah, dann Fogacer, der seinen Blick nacheinander über Jeannette, Miroul und mich schweifen ließ und sich im stillen sichtlich ergötzte.
Am Abend berichtete ich meinem Vater bei unserem Mahl, was Fogacer gesagt hatte, natürlich indem ich seinen Atheismus und sein wenig bußfertiges Schwulsein verschwieg – Dinge, die mein Vater nicht ertragen hätte, das zweite noch weniger als das erste, denn fleischliche Sünden, die ihn nicht selbst versuchten, duldete er nicht. Was nicht heißt, daß er nicht auch sehr streng gegenüber Gottesleugnern war, weshalb er mich einst hart getadelt hatte, als ich den furchtbaren Leiden des Abbé Cabassus, der auf dem Scheiterhaufen bei kleinem Feuer geröstet wurde, ein Ende machte, indem ich ihn mit einem Pfeil erschoß.
»Wie merkwürdig«, sagte mein Vater mit ernster Stimme, »daß Fogacer, der doch Katholik ist (ich lächelte im stillen), deutlicher als Rosny und ich das unendlich Beklagenswerte dieses Abschwörungsaktes empfindet. Der Schrei nach Frieden hat uns bewogen, den unheilvollen Charakter der Sache zu übersehen. Aber, in der Tat, wenn man näher hinsieht, und mit klarem Blick, und obwohl Navarras Konversion über kurz den Zusammenbruch der Liga herbeiführen wird, beschert sie Rom, auf Dauer gesehen, einen glänzenden Sieg und bedeutet für die hugenottische Sache, für den humanistischen Geist einen gewaltigen Rückschlag.«
»Herr Vater«, entgegnete ich, »heißt das aber nicht, einem Lippenbekenntnis zum Fegefeuer, zum Marienkult, zum Gewimmel der Heiligen und falschen Reliquien, zu bunten Götzenbildern, käuflicher Mildtätigkeit und anderen Verfälschungen zuviel Wert beizumessen?«
»Der Protestantismus, mein Sohn«, sagte mein Vater voll Nachdruck, »beschränkt sich nicht darauf, die schamlosen Anhängsel anzuprangern, die der Papismus dem ursprünglichen Christentum hinzugefügt hat. Er ist vor allem eine neue Denkweise, die unter anderem gegen Irrtum, Aberglauben und Tradition aufbegehrt, kurz, ein standhafter Wille, ein Jegliches vorurteilsfrei zu prüfen, Mißbräuche abzustellen und überall |389| womöglich zu besseren Lösungen voranzuschreiten. Deshalb ist der Hugenotte nicht allein der konsequentere Christ. Bis hinein in die
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