Paris ist eine Messe wert
betrachtete, was ich sehr gerne tat, sah ich da und dort erste Spuren des Alters um ihre Augen, an Kinn und Hals. Im Ganzen aber war sie noch prächtig beisammen, und sie bewegte sich so energisch und gewandt, daß es höchst erfreulich zu sehen war.
Doch um auf ihr Gesicht zurückzukommen, waren das Schönste daran die Augen, groß, wie ich noch keine sah, strahlend wie Leuchtfeuer, goldbraun und warm, und ihr Blick umfing einen milde wie Mondlicht. Ihr Mund war auch groß, voll und rot, aber das Beste daran: Er war in ständiger, köstlicher Bewegung, die Lippen entblößten schöne Zähne in einem unablässigen Wechselspiel aus Lächeln, halbem Lächeln, Viertel Lächeln, schmollenden, schmeichelnden und was weiß ich noch für Mienen.
»Herr Baron«, sagte sie, als sie auf meine Bitte Platz genommen hatte, »ich möchte fragen, was Ihr zu Mittag zu speisen wünscht.«
»Madame!« sagte ich (ihre schönen Augen zwinkerten abermals vor Freude über das »Madame«), »ich bin Soldat und nehme mit dem fürlieb, was Ihr eßt. Denn ich hoffe doch, daß Ihr mich bei Tisch nicht Eures schönen Angesichts berauben und mich mit meinem Mahl nicht allein lassen werdet wie einen Mönch.«
»Ah, Monsieur«, sagte sie, »ich kenne meinen Rang und würde mich niemals vermessen, mit dem Baron von Siorac speisen zu wollen, mag ich ihn auch noch so reizend finden.«
Dieser offene Angriff verschlug mir ein wenig die Sprache, und ich verneigte mich, um mich zu fassen.
»Madame«, sagte ich, »wie liebenswürdig von Euch, daß Ihr einen Graubart von achtunddreißig Jahren reizend zu finden beliebt.«
»Freilich, Monsieur«, sagte sie, »bin ich gegen Euch ein junges Ding (worauf ich im stillen schmunzelte), doch habt Ihr, Monsieur, wenn ich mir die Kühnheit herausnehmen darf, so etwas Strackes an Euch wie eine gute Klinge, das ich mir erlaube, unendlich wohlgefällig zu finden.«
»Madame, Ihr glaubt gar nicht, wie dieses hübsche Kompliment mich rührt, und stünde es nicht fest, daß ich Euch in acht Tagen verlassen und, wie es mein Stand gebietet, meinem abenteuerlichen Leben folgen muß, würde ich die innigste Freundschaft zu Euch fassen.«
|71| »Ach, Monsieur!« sagte sie mit einem Seufzer, während ihre goldbraunen Augen mich in süßem Lichte badeten, »man soll vom Leben nicht zuviel verlangen. Wer auf ewige Bande spitzt, der erhält gar nichts. Was mich angeht, die ich das Unglück habe, Witwe zu sein, so können Männer meines Standes mich nicht verlocken, ich finde sie grob, ungehobelt, prahlerisch und auftrumpfend. Reiche ich den Finger, wollen sie die ganze Hand, und die Hand samt Haus. Ach, nein! Lieber bleibe ich Herrin meiner selbst und meines Guts, wählerisch und entschlossen, mich nie länger, als ich mag, zu binden.«
Das war gut gesprochen, und ohne jede Verdunkelung, und je öfter mein Blick von ihrem Mund zu ihren Augen ging, und von ihren Augen zu ihrem Mund, desto mehr sann ich über das Gehörte nach und erstaunten mich diese Reden.
»Wenn ich Euch recht verstehe, Madame«, sagte ich schließlich, indem ich ihre Hand ergriff, »liegt für Euch der Reiz eines Soldaten, wie ich es bin, gerade darin, Euch nicht mit andauernder Gegenwart zu bedrücken, sondern zu verlassen, bevor Ihr seiner überdrüssig werdet.«
»Monsieur«, sagte sie mit einer so hübsch scheinheiligen Verlegenheit, daß es mich juckte, sie sogleich in die Arme zu nehmen, »mich dünkt, daß Ihr Euch da unterschätzt: Euer Reiz ist kein so flüchtiger. Von Eurem klaren Antlitz und Euren muskulösen Gliedmaßen abgesehen, ist Euch eine Verfeinerung eigen, die man nur am Hof erwirbt. Auch spricht sich Euer Appetit nie brutal aus, sondern zärtlich und behutsam. Selbst meinen Kammerjungfern, konnte ich beobachten, begegnet Ihr nicht auf Soldatenart, Ihr seid höflich, Ihr scherzt, so daß die eine oder andere sich gewiß bald ergäbe, wenn ich nicht auf Ordnung hielte. Und auf Ordnung halte ich auch in Eurem Interesse, Herr Baron, habt Ihr doch Anspruch auf mehr. Wer würde sich mit dem Topf begnügen, wo ihm der Braten winkt?«
Ich hatte keine Worte. Es geschah mir wahrhaftig zum erstenmal, daß das ganze Arsenal der Verführung von der weiblichen Seite aufgeboten wurde, und nicht von meiner. Und weil ich abermals nichts zu erwidern wußte, schwieg ich und küßte niederkniend ihre Hand, so überrumpelt wie köstlich verwundert, daß hier ich der Belagerte war und selbst keine Leitern erklimmen und keine Mauern sprengen
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