Paris ist eine Messe wert
hochgezogen wurde, so daß wir draußen standen. Monsieur de Rosny erblickte den Kopf des Pförtners am Fenster des Torhauses und zügelte sein Pferd.
|76| »He! Was soll das, Schuft?« schrie er zornig, »erkennst du mich nicht? Weißt du nicht, daß ich hier zu Hause bin? Bursche, du riskierst deinen Hals!«
»Monsieur de Rosny!« rief der Pförtner, »meinen Hals riskiere ich erst recht, wenn ich Eurem Herrn Bruder nicht gehorche.«
»Was!« rief Rosny, »mein Bruder ist da?«
»Jaja! Und mit zwei Dutzend Mann Fußvolk!«
»Hol ihn mir, Schurke!« wetterte Rosny in höchstem Zorn.
Der Pförtner mußte nicht lange suchen, denn schon erschien am Fenster besagter Bruder, bärtig wie Jupiter und mit heiterer Stirn.
»Mein Herr nachgeborener Bruder«, rief er, »ich wünsche einen guten Tag!«
Rosny lief rot an vor Wut, doch er beherrschte sich.
»Mein Herr ältester Bruder«, sprach er, »ich bin Euer Diener. Beliebt die Zugbrücken herab- und mich einzulassen.«
»Tut mir leid«, sagte der ältere Rosny, »so gut ich es auch verstehe, daß Ihr kommt, um Eure kranke Frau Gemahlin zu besuchen.«
»Außer daß Ihr mein Bruder seid«, sagte Rosny, »ist dies in der Tat ein Grund, mir das Tor zu öffnen.«
»Bedaure! Das darf ich nicht«, sagte der ältere Rosny.
»Ihr dürft nicht?« fragte Rosny mit zornbebender Stimme. »Ihr dürft Eurem Bruder nicht öffnen, der seiner sterbenden Gemahlin beistehen will?«
»Nein, leider!« sagte der Ältere und strich seinen schwarzen Krausbart. »Durch einen Kurier des Hauptmanns, dem Ihr vorgestern Lösegeld zahltet, erfuhr die Liga, daß Ihr kommt, um Burg Rosny mit hundert Leuten zu besetzen, und schickte mich augenblicklich her, dies zu vereiteln: Ich habe mich auf Wort und Ehre verpflichtet, Euch nicht einzulassen.«
»Mein Herr Bruder«, sagte Rosny, »ich weiß wohl, daß Ihr Papist und Ligist seid. Aber kann man nicht beides sein, ohne der christlichen Barmherzigkeit zu ermangeln? Monsieur, meine Frau liegt im Sterben. Ich bitte Euch, brecht Euren Schwur und laßt mich ein. Ich ersuche Euch im Namen der Menschlichkeit.«
»Leider, Monsieur«, sagte der Ältere, »muß ich Euch dies im Namen meines Versprechens verweigern.«
»Ist das Euer letztes Wort?« fragte Rosny.
»Das letzte.«
|77| »Alsdann, mein Herr Bruder«, versetzte Rosny mit Donnerstimme, »spart Euch Eure ›Leider‹ und Seufzer: Ihr werdet Luft und Atem anders brauchen. Ich nehme mir die Ehre, zur Stunde die väterliche Burg zu erstürmen oder zu sterben.«
»Aber, Monsieur! Monsieur!« rief der ältere Bruder, nun doch erschrocken, »wollt Ihr den Kain aus der Bibel spielen?«
»Nein, Monsieur!« rief Rosny, »wir spielen besagte Geschichte andersherum. Ich werde der richtende Abel des barbarischen Kains sein, den ich dort heuchlerisch am Fenster seufzen sehe. Meine Herren!« rief er, seinem Gefolge zugewandt, »geht Ihr mit mir in diesen Kampf?«
Worauf wir vor Empörung und Zorn über den Parteigeist des älteren Rosny in ein so wildes Gebrüll ausbrachen, daß es einen Tauben hörend gemacht hätte. Und Monsieur de Rosny, der uns in Stellung gehen und sofort seine kleine Kanone aufrichten ließ, befahl einem Dutzend Arkebusieren, aus dem nahen Dorf Rosny Leitern zu holen. Gleichzeitig saßen wir ab und übergaben die Pferde den Pagen, und unsere Waffenknechte entzündeten die Lunten unserer Arkebusen, damit sie bereit wären zum Gefecht, sobald der Befehl ertönte.
Indessen machten diese Vorbereitungen und die Entschlossenheit Monsieur de Rosnys einigen Eindruck auf den Herrn des Platzes, und sich die Stirn reibend, trat er abermals an das Fenster.
»Mein Herr Bruder«, sagte er mit einer Stimme, die nicht mehr so ruhig und heiter klang, »das ist Wahnwitz! Wollt Ihr die Burg unserer Väter in Klumpen hauen?«
»Nein«, sagte Rosny fest, »ich nehme sie ein, Euren Fußtruppen wird kein Haar gekrümmt. Ich lasse sie ziehen, sowie ich drinnen bin. Und was Euch angeht, mein Herr Bruder …«
»Was mich angeht?« fragte der Ältere auffahrend, als sei er auf eine Herausforderung gefaßt.
»… so werde ich trotz allem Euer Ältestenrecht respektieren und Euch, eingedenk der Bande, die Ihr vergessen habt, Eurem Gewissen überantworten.«
Hierauf war zwischen den beiden Rosnys langes Schweigen.
»Monsieur«, sagte endlich der papistische Rosny, »wie könnte ich die Bande vergessen, von denen Ihr sprecht, und wie sollte ich nicht tief betrübt sein, daß der Bürgerkrieg mich
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