Parrish Plessis 01 - Nylon Angel
echt waren. »Loyl war sehr niedergeschlagen, als er von ihrer Ermordung erfuhr.«
»Er hatte wohl auch gute Gründe dafür«, bemerkte ich bissig.
»Sie war ein Schatz. Dennoch gehörte sie den Medien an. Sie sah die Welt mit Daacs Augen. Er überredete sie dazu, Annas Forschungen weiter finanziell zu unterstützen. Selbst nach den Morddrohungen.«
»Morddrohungen?«
Ibis hielt schuldbewusst inne. »Ich rede zu viel.«
Ja, das tust du, dachte ich bei mir, und du hast mir ein kleines Fenster zu Daacs Gedankenwelt geöffnet.
Nennt mich eine Zynikerin, aber ich muss denjenigen erst noch treffen, der nicht durch persönliche Interessen motiviert ist, selbst wenn er den höchsten Idealen hinterherjagt. Wenn es um persönliche Angelegenheiten geht, ist alles andere sekundär. Daac mochte ja an Familie und seine Aufgabe glauben, aber ich hätte wetten können, dass er sich auch irgendwo abreagierte – schuldbewusst und wütend, wie er war.
Seine Liebhaberin war tot, sein Lebenswerk zerstört. So viel verstand auch ich. Dieses andere Gerede von einem höheren Ziel verursachte bei mir dagegen Schwindelgefühle; aber vielleicht war dafür auch dieses Kribbeln in meiner Magengegend verantwortlich, das ich jedes Mal empfand, wenn Daac mich ansah.
Ibis musste mich schließlich verlassen, um sich mit Pat zu treffen. Zumindest behauptete er das. Sein besorgter Blick brachte mich zu der Vermutung, dass er sich wohl in Wahrheit auf die Suche nach Loyl machte.
Damit meine Gedanken nicht sinnlos abtrieben, öffnete ich den Kragen meines Anzugs und brachte die Zip-Disk zum Vorschein. Dann verbarrikadierte ich die Türe mit einer Couch und setzte mich an den Computer.
Auf dem Bildschirm erschien eine Flut von Symbolen. Offensichtlich befanden sich Daten und Informationen auf der Diskette, aber ich würde Hilfe brauchen, um sie abzurufen.
Teece!
Ich schaltete den Computer ab, versteckte die Disk wieder und begab mich in die Küche, um etwas Brot zu suchen, nachdem ich die Couch wieder an ihren Platz gestellt hatte.
Dann legte ich mich aufs Bett. One-World flimmerte auf dem Wandschirm, doch ich war nicht in der Stimmung, Hintergrundberichte über mein Leben zu sehen. Stattdessen rollte ich mich unter der Bettdecke zusammen, die Glock unter meinem Kopfkissen, drei Messer umgeschnallt und die Tasche mit den Granaten in Griffweite. Ich döste ein wenig, wagte es aber nicht wirklich zu schlafen. Ich fürchtete, dass ich mir am Ende selbst das Gehirn wegpusten würde, wenn ich schlecht träumte.
»Parrish.« Ein tiefer, durchdringender Donner in meinem Ohr.
»Hmmm?«, murmelte ich schläfrig.
Vielleicht hatte ich von Daac geträumt.
Die Stimme warnte mich: »Wir bekommen Gesellschaft.«
Wie vom Blitz getroffen schoss ich in die Höhe, die Glock durchgeladen und schussbereit in meiner Hand. Alles, was ich sah, war mein verzerrtes Bild im Spiegel.
Daac war herbeigeeilt und lugte vorsichtig durch einen Schlitz in der Tür. Der kokette und ruhige Klang von Ibis’ Stimme drang aus dem Wohnbereich herüber.
»Oh, du meine Güte«, gurrte der dicke Mann. »Das muss mein Glückstag sein. Ein großer, kräftiger Mann.«
»Militär 43971A, Spirelle. Dieses Gebäude wird durchsucht. Es wird vermutet, dass sich hier ein Schwerkrimineller versteckt hält. Treten sie zur Seite.«
Daac und ich tauschten einen schnellen, viel sagenden Blick aus. Die körnige, blecherne Stimme gehörte zu einem ›Hiwi‹, einem Militärmechanoiden. Sie wurden Hiwis genannt, weil sie immer hinterher aufräumen mussten, so wie die Hilfsarbeiter bei der Schur von Schafen, in der Zeit als Rohstoffe noch von lebenden Tieren gewonnen worden waren.
Das war ein gutes und ein schlechtes Zeichen zugleich. Hiwis waren gründlich und kompromisslos – völlig humorlos. Andererseits konnten sie verdammt dumm sein, wenn man wusste, wie man ihre Logik austrickste.
Daac zog die Türe zu und kroch zu mir herüber.
»Pack deine Ausrüstung zusammen«, flüsterte er.
Nichts leichter als das.
In meinem Geist ging ich verschiedene Fluchtmöglichkeiten durch. Das Fenster gehörte nicht zu ihnen. Dahinter ging es fünfundfünfzig Stockwerke in die Tiefe; außerdem ließ sich das Fenster überhaupt nicht öffnen. Der Wäscheschacht? Im Notfall könnte ich mich hineinzwängen, aber Daac hätte keine Chance. Also blieb mir der Inhalt meiner Tasche als letzte Hoffnung. Damit konnte ich die komplette Fassade des Apartmentblocks pulverisieren.
Zu meiner Überraschung begann
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