Parrish Plessis 01 - Nylon Angel
zurückgekehrt? Wie schnell würde Daac genesen?
»Du kennst nicht Trunk?«
Gwynns Stimme durchbrach meine Gedanken. Ich starrte ihn an. »Nein. Wie ich schon gesagt habe. Wer ist das?«
»Trunk will, was mir gehört. Aber es gibt nur einen Weg, auf dem er es bekommen kann.«
Der alte Mann erzählte mir offensichtlich allen Ernstes, dass er für dieses schmutzige Regenrohr sterben würde.
Was hatte Daac noch gesagt?
Etwas darüber, wie ein Ort Teil von jemands Seele werden könne, ganz gleich, wie heruntergekommen oder schmutzig er auch sein mochte.
Vielleicht war das aber auch nur eine andere Art zu sagen, dass man sich keinen anderen Ort zum Leben leisten konnte.
»V’leicht zeige ich dir einen Fluchtweg.« Gwynn hatte wieder meine volle Aufmerksamkeit gewonnen.
»Gibt es denn noch einen anderen Weg?« Ich hielt den Atem an.
Der alte Mann hustete und rieb sich die Stirn. »Gwynn, der Torwächter. Bringt dich überall hin. Kann dir zeigen, wie.«
»Wie meinst du das ›überallhin‹?«
»Diese Milizen dort draußen… pahh.« Er machte ein abschätziges Geräusch. »Gwynn zeigt dir Unterwege.«
»Unterwege?«
Er streckte die Hand aus. »Du gibst mir Munition. Ich zeige dir Weg in den Tert.«
Ich musterte ihn im Halbdunkel. »Kann ich dir trauen, Gwynn?«
»Nein«, sagte er schlicht.
›Ja‹ wäre wohl auch eine Lüge gewesen. Ich blickte auf die Munition in meiner Hand, dann warf ich sie ihm zu.
Binnen weniger Sekunden hatte Gwynn seine Halbautomatik geladen. Mit einem tiefen Seufzer der Befriedigung lehnte er sich gegen die Wand.
»Jetzt warten wir. Halte dich bereit.«
Wir warteten einige Stunden lang. Zeit genug für mich, um an Gwynns Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln – und an meiner eigenen, weil ich ihm scharfe Munition gegeben hatte. Entscheidungen, die man aus dem Bauch heraus traf, erwiesen sich oft als richtig; doch manchmal erschienen sie einem im Nachhinein auch völlig idiotisch.
Ich dachte über die Gelegenheiten nach, an denen ich mich falsch entschieden hatte, und ich fragte mich, ob mein Handel mit Gwynn dazugehörte.
Auf ein nicht erkennbares Zeichen hin stand Gwynn plötzlich auf und schleppte seinen Körper an mir vorbei zur Öffnung der Röhre. Er war zwar alt und seine Kleider völlig verdreckt, aber er besaß das Kreuz eines Gewichthebers. Für Leute, die sich nur in niedrigen Abwasserrohren herumtrieben, waren Hoverstühle wahrscheinlich keine wirkliche Hilfe… genauso wenig wie synthetische Beine.
Ich kroch dicht hinter ihm her, ohne ihn zu berühren. Er verharrte scheu hinter der Öffnung und scharrte einigen Müll vor sich weg. Mit einem lauten Stöhnen spannte er seinen zerschundenen Körper an. Eine Betonplatte löste sich aus dem Boden. Scheinbar mühelos schob der alte Mann sie zur Seite.
»Gwynn ist sehr stark«, bemerkte ich beeindruckt.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Gwynn gewinnt Pan-Sat-Medaille. Früher einmal.«
Er nestelte an seinem zerschlissenen Hemd herum und zog schließlich eine mit Patina bedeckte Silbermünze hervor, die an einem schmutzigen Band hing. Das Pan-Sat-Symbol war noch immer gut sichtbar.
Meine Kinnlade klappte herunter.
Ich konnte mich gerade noch beherrschen, bevor ich ihm die Frage stellte, die mir auf der Zunge lag. Wenn Gwynn tatsächlich einmal ein Pan-Sat-Athlet gewesen war, dann würde er wahrscheinlich nicht gern über seine gegenwärtigen Lebensumstände diskutieren wollen.
Betrübt klopfte er sich mit der Hand auf den Kopf. »Sie öffnen und schauen herein. Wollen wissen, warum Gwynn so stark ohne Medizin. Gwynn danach nicht mehr derselbe. Nie mehr.«
»Du meinst, du hast diese Medaille ohne Zusatzstoffe gewonnen?«
»Gwynn so geboren. Dann nehmen sie mich… und meine Beine.«
»Was? Sie haben deinen Kopf aufgebohrt und dir die Beine abgeschnitten, um zu sehen, warum du so stark bist?«
»Nein. Schneiden Kopf, um hineinzusehen. Danach arbeiten Beine nicht mehr richtig. Gwynn wird krank. Ärzte müssen Beine abnehmen«, sagte er.
»Wer hat dir das angetan, Gwynn?«
»Macht keinen Unterschied Parr… ish. Was gewesen, ist vorbei. Gwynn bekam Essen. Arbeit. Gwynn, der Torwächter.«
Er atmete tief ein und drückte stolz die Brust raus. Dann richtete er einen Finger auf mich. »Jetzt du gehst hinunter. Gehe nach Süden. Rohr führt in drei Wege. Du folgst östlichem, nach links. Zum Tert. Kanratten verstecken dort. Sei vorsichtig.«
Ich griff in meine Jackentasche und zog das Essen heraus, mit
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