Parrish Plessis 02 - Code Noir
schwere Last auf mein Gewissen legten. Ich musste den Rest von ihnen lebend aus diesem Albtraum herausbringen. Wir hatten also keine Zeit zu verlieren; hier oben waren wir nicht mehr länger sicher.
»Also gut«, sagte ich. »Wir werden unser Glück auf der Straße versuchen. Vielleicht haben wir dort bessere Chancen…«
… dort kann ich zumindest sehen, wer uns angreift, vollendete ich den Satz in Gedanken. Der Rest war reine Glückssache…
»Glida.« Ich winkte ihr, uns ins Freie zu führen.
Die Masoops bewegten sich aber nicht vom Fleck und stimmten ein gemeinschaftliches Wehklagen an.
»Sie wollen Cha nicht zurücklassen«, erklärte Glida.
Ich schob mich vorsichtig zwischen die Masoops, die sich in einem Kreis um Chas Leiche versammelt hatten.
»So etwas wird nicht noch einmal geschehen.« Ich legte meine ganze Überzeugungskraft in diese Worte, ohne zu wissen, woher ich den Optimismus für dieses Versprechen nahm.
Ein paar der Masoops klammerten sich an meine Beine; andere kletterten auf meine Schultern und umarmten mich. Einer von ihnen nahm meine Hand und legte sie auf Chas Fell. Ich spürte die Wärme, die langsam aus dem Köper wich und fühlte mich vollkommen machtlos.
»Ich werde sie tragen«, sagte der Karadji hinter mir.
Ich nickte zustimmend. »Glida, sag deinen Leuten, dass wir Cha mit uns nehmen und einen Ort suchen werden, an dem wir sie begraben können.«
In aller Stille folgten mir die Schamanen und die Masoops in den hellen Mondschein hinaus. Im Schutz eines kleinen Vorbaus hockten wir uns zusammen, um Chas Tod für einen Moment zu betrauern. Ich nutzte die Gelegenheit, um mit jedem der Kinder ein kurzes Wort zu wechseln. Glida übersetzte, was ich sagte. Ich musterte die Masoops eingehend. Trotz meiner guten Absichten hatte Cha ihr Leben verloren, und ich hatte nicht einmal ihren Namen gekannt.
Das sollte nicht noch einmal geschehen.
Niemals.
Als ich vor einigen Monaten die damals noch namenlose Bras in Villas Rosa gefunden hatte, waren die gleichen Gefühle in mir aufgekommen. Die Menschheit war keinen Haufen Kanrattenmist wert, wenn wir die Menschen, die uns umgaben, nicht einmal beim Namen kannten.
Nach und nach legten die Masoops ihre Scheu ab und sprachen mit mir.
Walbee, Biiby, Bettong, Fattail, Wombebe, Quoll und Cuscus waren ihre Namen.
Ich versuchte, mir ihre Eigenarten einzuprägen: Quoll sah mich mit finsterem Blick an und hatte schwarze Flecken auf dem Schwanz. Wombebe besaß schuppige Haut und einen dicken Bauch, der wie ein Panzer aussah. Fattail konnte wegen seines dicken Schwanzes kaum aufrecht stehen. Biiby besaß zwei Paar Ohren, die ineinander verwachsen waren – laute Geräusche bereiteten ihm große Schmerzen. Bettongs Fußkrallen brachten ihn beim Laufen immer wieder aus dem Gleichgewicht. Walbee war Glidas bester Freund. Cuscus…
Ich sah Glida an.
»Cuscus sieht, was wir anderen hören«, erklärte sie.
Es gab einen Namen für dieses Phänomen, der mir jedoch partout nicht einfallen wollte. Cuscus’ Sinne schienen miteinander vernetzt zu sein. Ibis würde sicherlich mehr darüber wissen. Wenn ich es mit den Masoops lebend nach Torley schaffen sollte, würde ich ihn danach fragen.
Ich brachte ihnen bei, den Namen Parrish auszusprechen.
Alle gaben sich große Mühe, schafften es aber allenfalls, einen ähnlichen Laut auszustoßen.
Offenbar hießen die Schamanen meinen Vorstoß gut; sie gesellten sich zu uns und begannen, sich ebenfalls vorzustellen. Ness machte den Anfang.
»Mein Name ist Ness, und ich bin ein polynesischer Kapna. Wie ihr alle bereits gesehen habt, beherrsche ich die Kunst der Erneuerung.« Lange Haare, die fast bis zur Hüfte reichten. Der Älteste von ihnen.
»Stix.« Implantierte Federn als Haarersatz. Chlorgebleichtes Haar. Athletischer Körperbau.
»Chandra Sujin.« Tätowierungen im Gesicht. Dünne Stimme.
»Arlli. Ich kann in die Zukunft sehen.« Sie trug einen Schleier vor dem Gesicht.
»Tug. Ich verstehe mich auf das Heilen.« Kräftige Arme, tellergroße Hände. »Und das hier ist Talk Long«, stellte Tug seinen Nebenmann vor.
Talk Long konnte nicht sprechen.
»Über welche Fähigkeit verfügt er?«, erkundigte ich mich.
Der stumme Schamane hob den Kopf und sah mich mit ruhigen, tiefgrünen Augen an. Sie leuchteten in einer Farbe, die ich noch nie gesehen hatte. Es waren die Augen von jemandem, der nicht für diese Welt bestimmt war.
»Talk Long strahlt Ruhe aus«, antwortete Tug.
Ich hob eine Augenbraue und
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