Parrish Plessis 02 - Code Noir
mir. Warum faszinierte mich dieser Mann derart? An einem Ort, der vor Verrückten wimmelte, an dem sich meine Gedanken mit paranoiden Visionen füllten, begehrte ich meinen größten Widersacher. Völlig grotesk.
Ich entzog mich seinem Griff. »Du bist ein Fanatiker, Loyl, und Fanatiker helfen anderen Menschen nicht; sie benutzen sie nur.«
Jetzt lächelte er wieder. »Siehst du, Parrish. Du und ich, wir haben doch einige Gemeinsamkeiten.«
Wir schwiegen eine Weile. Dann machten wir Rast, und einer von uns hielt Wache, während der andere versuchte, ein wenig Schlaf zu finden.
Ich sah mich um. Es gab Bars, Restaurants, Rauchsalons und Schießstände, wie in den anderen Tert-Gebieten auch. Der einzige Unterschied war, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Zum Beispiel wurde in allen Restaurants das gleiche Essen serviert – weiche Pasteten und eine dunkle Flüssigkeit, die ich für Kaffee hielt.
An einem Gebäude, das wir passiert hatten, leuchtete ein Neonschild mit der Aufschrift ›Saupere Petten und Kliemahanlage‹. Dichtes Efeu rankte sich um die Eingangstür des mutmaßlichen Hotels, und die schummerige Beleuchtung, die durch die Fenster nach draußen drang, machte einen eher ungastlichen Eindruck. Aber eine solche Unterkunft war auf jeden Fall besser, als die Nacht auf der Straße verbringen zu müssen.
Wir betraten die Eingangshalle: Gegenüber einer kleinen Rezeption befand sich eine Lounge für die Gäste, und eine schmale, unbeleuchtete Treppe führte zu den Zimmern hinauf.
Der Dielenboden knarrte unter unseren Schritten, als wir uns zum Empfang begaben, wo sich ein Albino-Mädchen in einem billigen Plastikstuhl rekelte.
»Heeey, alles klar bei euch?« Ihre Stimme war so süß wie ein Stück Würfelzucker, und mit einem breiten, fast altertümlichen Akzent wälzte sie jede Silbe auf ihrer Zunge. »Ich hätte ein wuuunderbaaares Zimmer für euch.«
Die meisten Australier hatten vor über sechzig Jahren ihren Akzent samt ihrer Nationalität abgelegt, als Flüchtlinge aus Südeuropa das Land überflutet hatten. Die Umweltverschmutzung in großen Teilen Europas hatte zu dieser Zeit derart bedrohliche Formen angenommen, dass eine Massenflucht eingesetzt hatte. Die Europer drängten zunächst nach Afreka, doch die Afrekaner errichteten an ihren Grenzen bald Schutzwälle, um der anbrandenden Menschenflut Herr zu werden – der Anblick verzweifelter Europer verursachte bei ihnen bis heute keinerlei Gewissensbisse.
Und ich konnte es ihnen nicht verübeln.
Damals hatten die Australier immer erwartet, dass eines Tages eine Fluchtwelle von den Inseln im Norden – Indo und Malayland – über sie hereinbrechen würde. Aber dort waren die Menschen zur Besinnung gekommen und sorgsamer mit ihrer Umwelt umgegangen.
Obwohl ich das ursprüngliche Australien nur aus Geschichten kannte, berührte mich dieser nostalgische Akzent des Albino-Mädchens auf eigenartige Weise. Es schien beinahe so, als wäre diese alte australische Identität tief in meinen Genen verankert.
Auch Loyl sah das Mädchen fasziniert an, wobei ihn weniger ihr Akzent, als vielmehr ihre nackten Arme zu interessieren schienen.
»Was ist mit deiner Haut geschehen?«, fragte er.
Ich stieß ihm den Ellbogen in die Seite als Warnung, dass man sich in dieser Gegend mit persönlichen Fragen schnell Ärger einhandeln konnte.
Das Mädchen verdrehte die Augen. Sie waren pechschwarz; also war sie kein richtiger Albino.
»Hab sie mir abziehen lasen«, sagte das Mädchen. »Was glaubt Ihr wohl, warum ich mir ein solches Haus leisten kann?«
Ich musterte sie nun etwas genauer. Ihre Arme waren mit kleinen, blutigen Flecken überzogen, die wie Pfefferkörner dicht unter der Hautoberfläche lagen – besser gesagt, unter dem, was wie natürliche Haut aussah. Denn erst jetzt erkannte ich, dass ihr dunkelrotes Fleisch nur von einer dünnen, durchsichtigen Schicht synthetischer Haut bedeckt wurde. Ich ahnte, was sie sich selbst angetan hatte; doch ich sperrte diese Vorstellung aus meinen Gedanken aus.
»Hast du hier vor kurzem eine auffällige Frau gesehen? Sie trägt ein Kopftuch, hohe Stiefel und Gesichtsbemalung«, fragte ich das Mädchen, um schnell das Thema zu wechseln.
Sie kaute auf den Fingernägeln herum, und als sich dabei ein Stück ihrer synthetischen Haut ablöste, spuckte sie es achtlos auf den Fußboden.
»Nee.« Sie leckte das Blut von ihrer Fingerspitze, und zu meiner Verwunderung, wuchs ihr binnen Sekunden eine neue Haut an
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