Parrish Plessis 02 - Code Noir
erinnerte sie mich an Tina, das Straßenkind, das sich im Tert-Krieg selbst aufgeopfert und fünfzig Dingomutanten mit einer Bio-Bombe in den Tod gerissen hatte.
Glida-Jam und ich krochen durch zahllose Verbindungstunnel. Sie schleppte mich hinter sich her und wartete jedes Mal auf mich, wenn ich stolperte.
Jeder einzelne Muskel meines Körpers schmerzte vor Anstrengung; das wenige Essen und der übermäßige Alkoholkonsum waren meiner Form nicht gerade zuträglich gewesen. Mein Kompassimplantat verriet mir, dass wir uns im Halbkreis in südöstliche Richtung bewegten.
Schließlich erreichten wir einen mit Brettern verbarrikadierten Raum; silberne Lichtstrahlen fielen durch die Fugen zwischen den Dachziegeln auf den staubigen Boden. In der Annahme, dass dies der sichere Ort war, von dem Glida-Jam gesprochen hatte, ließ ich mich auf einen Holzstapel fallen und schlief ein.
Ich erwachte wieder, als Glida-Jam mir einen kaputten Becher mit einer undefinierbaren Flüssigkeit in die Hand schob.
Zitternd führte ich den Becher an meine Lippen. Ohne den Kopf zu bewegen, ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen und fragte mich, ob die anderen behaarten Kinder real waren, deren Präsenz ich in den dunklen Ecken der Dachkammer fühlte.
Glida zwang mich beinahe, von einem zuckersüßen Brot zu essen und salziges, bitteres Mineralwasser zu trinken. Nach den ersten Bissen verschlang ich das Brot gierig. Da ich schon länger keine Flüssigkeit mehr zu mir genommen hatte, schwoll meine Zunge an, als ich von dem Wasser trank. Langsam kehrten meine Lebensgeister wieder zurück, und ich spürte, wie mit meinem Blutzucker auch meine Hoffnung wieder stieg.
»Ich hab dich im Splittys geseh’n«, sagte Glida.
»Im Splittys?«
»Ja, in Splittys Bar«, erklärte sie ungeduldig. »Da ist’s aber nich’ sicher für uns. Zu dicht an Zuhause. Außerdem is’ das Dach verkabelt.«
»Zuhause?« Mein Verstand kam nur mühsam wieder in Gang.
Glida sah mich verdutzt an und strich nachdenklich über die wenigen Haare auf ihrem Hinterkopf.
»Dort sin’ wir wiedergebor’n worden. Die fliegenden Engel ham uns hingebracht. Und dann hat Gott uns wiedergebor’n.«
Wiedergeburt. Schon wieder dieses Wort. Ich versuchte, hinter all dem einen Sinn zu erkennen, doch ich konnte mich nicht konzentrieren und versank wieder in einem tiefen Schlaf.
Als ich das nächste Mal aufwachte, waren meine Glieder steif, doch ich hatte wieder einen klaren Kopf. Glida gab mir noch mehr Wasser und Brot. Bald konnte ich mich nicht nur besser konzentrieren, sondern auch wieder schärfer sehen. Diesmal fühlte ich die Gegenwart der anderen Kinder nicht nur; ich sah ihre gebückten Körper in den Halbschatten.
»Wie lange habe ich geschlafen?«, erkundigte ich mich.
Glida beschrieb mit der Hand einen Kreis. Bei Wombat, ich hatte also einen ganzen Tag verschlafen. Die Zeit verrann wie Sand durch meine Finger.
»Kein Brot mehr«, informierte mich Glida.
Also kaute ich den letzten Bissen betont langsam und setzte ein Lächeln auf, um ihr meine Dankbarkeit zu zeigen.
»Ich suche eine Schamanin namens Leesa Tulu. Kennst du sie?«, fragte ich.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Kenn’ ich nich’. Kenn’ nur Zuhause.« Frustriert verdrehte sie die Haare auf ihren Füßen zu kleinen Zöpfen.
Ich rieb mir mit der Hand den Schlaf aus den Augen und versuchte es erneut: »Glida, wie gelange ich an den Ort, den du Zuhause nennst.«
Abermals schüttelte sie den Kopf. »D… Du bis’ plemplem wenn du da hin wills’«, stotterte sie erschrocken.
»Ja, ich bin plemplem«, bestätigte ich ihr mit ironischem Unterton. »Beschreib mir trotzdem den Weg. Ich kann dich für die Information zwar nicht bezahlen, aber ich kann dir vielleicht ein neues, ein besseres Zuhause verschaffen.«
Glida sah mich ungläubig an. Aus den Schatten drang das aufgeregte Murmeln der anderen Kinder zu mir herüber.
»Kannst du mich in’ie Stadt bring’? Torlei?« Glida machte große Augen.
»Du kennst Torley? Ich hatte bis vor Kurzem noch nie von Mo-Vay gehört. Da, wo ich herkomme, nennen die Menschen diesen Ort Dis.«
Glida blinzelte mich an; ihre Wangen erröteten.
»Ich… Ich kenn’ jemanden von da.«
»Du kennst jemanden aus Torley? Wen?« Ich musste unwillkürlich an Loyl denken.
»Wirst schon seh’n. Er wird bald hier sein.«
KAPITEL ELF
Glida erklärte mir bruchstückhaft wie der Ort aussah, den sie Zuhause nannte. Als ich versuchte, ihr mehr Details
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