Partials 1 – Aufbruch
nachdenklich im Mund hin und her. Es schmeckte nach
Chemie, aber sie nahm den leicht stechenden Geruch und den bitteren Geschmack
kaum noch wahr. Sie dachte über Madison, Haru und das ungeborene Kind nach.
Vollkommen, unschuldig und schon vor der Geburt dem Untergang geweiht. Sie
dachte auch an Gianna und Mkele, an die Explosion und die Stimme ,
an den Senat und alles andere, an die ganze Welt, an Vergangenheit und Zukunft.
Ich lasse euer Kind nicht sterben, dachte sie und warf einen Blick auf Madisons
Bauch, der noch völlig fest und flach war. Noch konnte man es nicht sehen. Ich
werde dich retten, ganz egal, was ich dazu tun muss.
Wir können alles vollbringen.
9
»Ich brauche eine Blutprobe von dir«, sagte Kira.
Marcus zog die Augenbrauen hoch. »Ich wusste gar nicht, dass unsere
Beziehung schon so weit gediehen ist.«
Sie riss ein Grasbüschel aus und warf es nach ihm. »Für die Arbeit,
du Trottel.« Sie saßen auf der Wiese vor Kiras Haus und genossen einen der seltenen
Tage, an denen sie beide zur gleichen Zeit freihatten. Sie hatten ein paar
Stunden lang Nandita im Kräutergarten geholfen, und jetzt waren ihre Hände wund
und dufteten stark. »Ich will ein Mittel gegen RM finden.«
Marcus lachte. »Ich habe mich schon gefragt, wann endlich jemand
diesen Vorschlag macht. Vorgenommen habe ich es mir schon vor Jahren, aber man
kommt ja zu nichts. Ich habe immer so viel zu tun, und die Rettung der
Menschheit ist eine lästige Angelegenheit, die …«
»Ich mein’s ernst«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich kann einfach nicht
mehr zusehen, wie ein Kind nach dem anderen stirbt, und ich will nicht
danebenstehen und mir Notizen machen, wenn es Madisons Baby erwischt. Das kommt
nicht infrage. Sie hat es uns vor ein paar Wochen erzählt, und seitdem
zermartere ich mir den Kopf, wie ich ihr helfen kann. Ich glaube, ich habe
endlich einen brauchbaren Ansatz gefunden.«
»Na schön.« Marcus richtete sich auf, auch er war ernst geworden.
»Ich halte dich wirklich für brillant, und du hast bessere Noten in Virologie
als … als alle anderen. Keine Frage. Aber glaubst du wirklich, du könntest
einfach mal so das größte medizinische Rätsel der Geschichte lösen? Ich meine,
im Krankenhaus ist ein ganzes Forschungsteam seit einem Jahrzehnt damit
beschäftigt, das RM -Virus zu knacken, und nun kommt
auf einmal eine Praktikantin daher und … findet das Heilmittel? Einfach so?«
Kira nickte. Es klang wirklich dumm, wenn er es so formulierte. Sie
blickte zu Nandita hinüber und fragte sich, was ihre Ziehmutter dazu sagen
würde. Die alte Frau war jedoch eifrig mit dem Garten beschäftigt und hatte
nicht zugehört. Kira wandte sich wieder an Marcus. »Ich weiß, es klingt wie die
überheblichste Behauptung der Welt, aber ich …« Sie hielt inne, holte Luft und
erwiderte seinen Blick. Er musterte sie aufmerksam und wartete. Ja, er nahm sie
ernst. Sie ergriff seine Hand. »Ich weiß, dass ich wenigstens dabei helfen
kann. Wir müssen etwas übersehen haben. Ich habe mich für die
Entbindungsstation gemeldet, weil ich dachte, das sei das Nervenzentrum,
verstehst du? Ich dachte, das sei der entscheidende Ort, wo es passiert. Aber
inzwischen arbeite ich dort. Ich weiß, was sie tun, und erkenne, dass es nicht
funktionieren wird. Wenn ich Skousen etwas Handfestes vorweisen kann, versetzen
sie mich sicher dauerhaft in die Forschung. Es könnte noch ein oder zwei Monate
dauern, aber ich kann es schaffen.«
»Das wäre wirklich schön für dich«, sagte Marcus. »Für sie natürlich
auch. Da du die Entbindungsstation kennst, hast du sogar einen anderen
Blickwinkel als die anderen. Übrigens weiß ich auch, dass es eine freie Stelle
gibt, denn im letzten Monat wurde jemand aus der Forschung in die Chirurgie versetzt.«
»Genau das meine ich doch«, sagte Kira. »Ein neuer Blickwinkel. Auf
der Entbindungsstation und in der Forschung kümmern sich alle ausschließlich um
die Kinder. Aber wir sollten nicht die toten Kinder untersuchen, sondern den
Grund für die Immunität erforschen. Wir sind resistent, also wehrt irgendetwas
in unserem Körper die Viren ab. Die Babys sind als Einzige nicht immun, und
trotzdem haben wir nur sie im Blick.«
»Dafür brauchst du mein Blut«, sagte Marcus.
Kira nickte und streichelte seinen Handrücken. Deshalb liebte sie
Marcus so sehr: Er war witzig, wenn sie lachen musste, und ernst, wenn sie
reden wollte. Er verstand sie ganz einfach.
Sie pflückte einen Grashalm und schälte ihn ab, bis
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