Partials 1 – Aufbruch
Stelle
nachforschen.
Konnte er einen Pistolenschuss überleben? Was passierte mit der
Kugel? Ihr Bauchgefühl rang mit der wissenschaftlichen Neugierde. Sie
schüttelte den Kopf und legte die geronnene Blutprobe beiseite.
»Ich will dich nicht foltern«, erklärte sie, während sie zu den Schubladen
zurückkehrte und eine kleine Plastikspritze und eine kurze dünne Nadel
hervorholte. »Ich brauche aber eine vernünftige Blutprobe. Der Medicomp
benötigt flüssiges Blut, wenn er mir sagen soll, was da vor sich geht. Da dein
Blut blitzschnell gerinnt, sobald es mit Luft in Berührung kommt, müssen wir
die Luft so lange wie möglich abhalten.« Sie setzte die Nadel auf die Spritze,
suchte einen Schlauch mit Salzlösung und zog die Flüssigkeit auf die Spritze,
bis sie sicher war, dass sich keine Luft mehr darin befand. Dann klopfte sie
dem Partial auf die Vene in der Ellbogenbeuge und hielt die Nadel darüber.
»Mach dich auf einen weiteren Pikser gefasst!«
Dieses Mal zuckte er überhaupt nicht. Sie nahm einen Kubikzentimeter
Blut ab und wollte ihm ein Baumwollpolster auf den Arm kleben, doch dann
erinnerte sie sich, wie sinnlos dies war, da die Verletzung schon wieder
heilte. Sie kam sich ein wenig töricht vor und wandte sich ab, um die Spritze
so, wie sie war, in den Medicomp zu schieben. Das Blut war tatsächlich noch
flüssig. Sie streifte die Einmalhandschuhe ab und tippte auf den Bildschirm, um
die Bluttests, die Leberanalysen und alles andere zu aktivieren, was ihr nur einfallen
wollte. Letzten Endes lief es wieder auf den Gesamtscan hinaus, der beim letzten
Mal das Virus in Marcus’ Probe gefunden hatte. Sie tippte auf Ja und wartete mehr oder weniger mit angehaltenem Atem,
während der Medicomp das Blut untersuchte.
Bisher hatte sie es vermieden, eingehend über Marcus nachzudenken.
Sie hatte im Grunde auch keine Zeit gehabt. Nur wenige Stunden zuvor hatte sie
noch hinten auf einem Wagen der Abwehr gehockt und war nach East Meadow
gefahren, um heimlich vom Senat befragt zu werden. Marcus hatte sich am
vergangenen Abend nicht bei Xochi blicken lassen, und sie hatte ihn auch nicht
aufgesucht. Am Morgen war sie direkt in die Klinik gegangen. War er immer noch
wütend auf sie? War sie noch wütend auf ihn? Ja, das war sie – natürlich war
sie wütend –, aber zugleich verstand sie ihn auch. Sie wusste jetzt, dass er … was hatte er eigentlich getan? Sie beschützen wollen? Sie benötigte keinen
Schutz. Außerdem war sie die Einzige, die etwas bewegen wollte. Aber hatte er
in Bezug auf RM recht? Konnte man die Seuche
wirklich nicht heilen, und vergeudete sie ihr Leben, wenn sie es dennoch versuchte?
Das mochte sie nicht glauben, sie durfte nicht einmal daran denken. Sie würde
ein Heilmittel für diese verdammte Krankheit finden, nur darauf kam es an. Aber
wieso dachte sie dann, sie könne Marcus verstehen?
Er hatte Angst, sie zu verlieren. Das war nachvollziehbar für sie.
Sie war ja selbst fast überzeugt gewesen, dass sie sterben musste.
Als der Medicomp zirpte, blickte Kira wieder auf den Bildschirm. Die
Elektrolytwerte waren überdurchschnittlich hoch, der Zuckerspiegel sprach für
einen leichten Fall von Diabetes, die Zählung der weißen Blutkörperchen zeigte
einen derart hohen Wert, dass sie sofort die Körpertemperatur überprüfte, weil
sie eine Infektion befürchtete. Sie lag jedoch bei siebenunddreißig Grad, genau
wie bei ihr selbst. Vielleicht besaß er einfach eine andere Physiologie, bei
der andere Werte als normal galten. Bei einem normalen menschlichen Patienten
hätten die Werte den Verdacht auf eine beginnende Krankheit geweckt, doch soweit
sie es sagen konnte, war der Partial völlig gesund. Sie übertrug die Daten in
ihr Notizbuch und markierte die Anomalien, die sie später genauer überprüfen
wollte.
Nachdem sie alles durchgesehen hatte, war das wichtigste Ergebnis
der Blutuntersuchung allerdings die Feststellung, dass sie etwas vermisste. Der
Körper des Partials wies keine Spur von RM auf.
Kein RM . Sie hob aufgeregt den Kopf. Der
Partial lag nach wie vor auf dem Tisch und starrte stumm zur Decke hinauf.
Irgendwie gelang es ihm, dabei gefährlich auszusehen. Jeder andere hätte in
seiner Situation längst aufgegeben, doch die angespannten Muskeln und die
wachsam blickenden Augen verrieten Kira, wie sehr seine Gedanken rasten.
Das spielte in diesem Moment jedoch keine Rolle. Kira hätte beinahe
laut aufgelacht. Der Partial hatte keine Spur von RM im Blut, genau wie sie es
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