Partitur des Todes
als eine überaus erfolgreiche Schülerin erwies und von den Lehrern immer wieder gelobt wurde, machte die Nowaks stolz. Mit der zähen Strebsamkeit vieler Einwandererfamilien versuchten sie, ihren Kindern den Weg in ein Leben zu ebnen, von dem sie hofften, dass es leichter sein würde als ihr eigenes.
Jadwiga schlüpfte noch vor ihrem Vater ins Badezimmer, putzte sich die Zähne, duschte und kämmte sich das Haar. Während sie vordem Spiegel stand, hörte sie aus dem Nebenzimmer die lauten Stimmen ihrerbeiden jüngeren Geschwister, die nun wach geworden waren und sofort angefangen hatten zu streiten.Als Jadwiga in die Küche kam, saß ihre Mutter am Tisch und bereitete ihrdas Frühstück, das sie erst in der Schule zu sich nehmen würde. Wie immer trank das Mädchen im Stehen eine große Tasse warme Milch, dann holte es seinen Rucksack und verabschiedete sich.
«Es wird jeden Tag früher», sagte ihre Mutter und schaute auf die Wanduhr, deren Zeiger gerade auf 7.00Uhr umgesprungen waren.
«Wir wollen unser Referat noch einmal durchsprechen», sagte Jadwiga.
«Und plaudern», vermutete ihr Vater, der jetzt im Türrahmen erschienen war und seine Große anlächelte.
«Und plaudern», sagte Jadwiga.
Als die Haustür hinter ihr ins Schloss fiel, atmete sie auf. Jeden Montag war sie froh, das Wochenende hinter sich zu haben und die Enge des Dorfes und der kleinen Wohnung verlassen zu können. Trotzder hohen Anforderungen, die St.Lioba an sie stellte, kam ihr die Schule wie ein Ort der Freiheit vor, an den sie immer wieder gerne zurückkehrte.
Sie stieg auf das alte Mountainbike, das sie einem Mitschüler für wenig Geld abgekauft hatte und das ihr erlaubte, zwischen Fauerbach und Bad Nauheim hin- und herzufahren, ohne auf den sowieso nur selten verkehrenden Linienbus angewiesen zu sein. Die Entfernung zwischen ihrer Wohnung und der Schule betrug etwa elf Kilometer, eine Strecke, die Jadwiga meist in einer guten halben Stunde bewältigte. Sie ließ die letzten Häuser hinter sich und fuhr auf den betonierten Feldweg, der in Richtung Ober-Mörlen führte. Sie passierte die beiden silbernen Türme des Hochsilos, überquerte den Steinlachsgraben und fuhr zwischen den weiten Feldern hindurch immer geradeaus auf das große Naturschutzgebiet der Magertriften zu. Links von ihr führte ein schmaler Trampelpfad hinunter zu einem Bach und einem Teich, die hinter einer Reihe von Bäumen verborgen waren.Auf einem ihrer Wandertage hatten sie hier einmal Rast gemacht. Jadwiga schaute kurz auf die Uhr und merkte, dass sie gut in der Zeit lag.
Sie war schon an der Wegkreuzung vorbei, als sie plötzlich innehielt.Aus demAugenwinkel meinte sie, etwas bemerkt zu haben, was das gewohnte Bild störte. Sie drehte noch einmal um und fuhr ein paar Meter zurück. Dort stieg sie von ihrem Rad und schob es den Pfad hinunter.
Zwischen den Bäumen stand ein ausgebranntes Auto. Es war ein Kleintransporter, den jemand den holperigen Weg hatte hinunterrollen lassen. Dabei hatte er die alte Schranke durchbrochen, welche die Zufahrt zu dem Gebiet verwehren sollte.
Sie lehnte ihr Rad an eine der großen Erlen und ging auf den Wagen zu, dessen Blech noch die Hitze des Feuers abstrahlte. Die Scheiben des Fahrerhauses waren herausgeplatzt und lagen in Tausenden kleinen Splittern auf dem Boden.Aus der verkohlten Polsterung der Sitzestieg spärlicher Rauch. Sie hielt sich die Nase zu, so stark roch es nach verbranntem Kunststoff.
Dann ging sie um dasAuto herum. Die Hecktüren zum Laderaum standen offen. Jetzt sah sie, dass das Feuer nicht den gesamten Wagen verbrannt hatte. Ein Teil des Lacks an den Heckklappen war verschont geblieben. Der Kleinlaster war einmal grau gewesen.
Als sie den Aufkleber auf der Türe sah, wusste sie, dass sie das Auto in den vergangenen Tagen schon mehrmals gesehen hatte. Mindestens zweimal, vielleicht sogar dreimal. DerAufkleber zeigte ein gelbes Warndreieck mit rotem Rand. In der Mitte war die Silhouette eines Elchs abgebildet.Als sie am Samstagmorgen mit ihrem Vater nach Butzbach zum Einkaufen gefahren war, hatte der Wagen auf dem Parkplatz eines Supermarktes gestanden. Er war ihr aufgefallen, weil sie erst kürzlich im Politikunterricht eine Hausarbeit über Skandinavien geschrieben und genau einen solchen Sticker auf das Deckblatt geklebt hatte.Am späten Samstagnachmittag war sie dann von Fauerbach nach Langenhain geradelt, wo sie sich mit zwei Freundinnen zum Gyros-Essen verabredet hatte. Kurz hinter dem Ortseingang
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